* 999 *

Drei Jahre ist es her, da war sie zum ersten und letzten Mal im Einsatz.
Beim Internationalen Laverdatreffen des Club Frankreich in den Ardennen.
Damals staken noch 41 Zentimeter Stahl im Oberschenkel, drückten peinvoll auf irgendeinen blöden Nerv im Hintern. Beim Aufsitzen mußten Helfer das Bein über die Sitzbank hieven. Der Fuß wurde mit der Hand auf die Raste gestellt. Es war ein tolles und anstrengendes Treffen, aber irgendwie hatte ich nicht viel von der GT und sie nicht viel von mir. Seitdem stand sie sich nur noch die Reifen platt.

2007, drei Jahre später: wieder einmal spiele ich mit dem Gedanken, für die Demonstrationsläufte bei den "CML", den Coupes Moto Legende in Dijon, eine Bewerbung abzugeben. Aber sie, die GT, steht noch in Belgien, und überhaupt, das zusammengebastelte Stück mag ja recht "interessant" sein, aber den strengen Kriterien der Kommission wohl wenig entsprechen. Und als die GT endlich nach Germanien überführt ist, sind die Serien eh schon ausgebucht.
Also wieder ein Jahr verschoben.

Drei Wochen vor dem CML-Wochenende: über den Mailverteiler der "Classic Racing Motorcycle Belgium"-Vereinigung kommt eine Nachricht. Ein Holländer gibt seine Einschreibung für die "Coupes" ab, seine Rickmann-Triumph ist nicht fertig. Ich maile ihn an, es folgen ein nettes Telefonat, ein International Bank Transfer und ein paar Tage später das Kuvert mit den Unterlagen.
Ich werde als Eric Boelen auf einer "Ersatzmaschine" bei den CML in der "Serie J": Rennmaschinen und "Modifizierte" ab 175 ccm bis Baujahr 1976 fahren.
Ich kanns nicht fassen.
Einfach nicht fassen.

Fahren... ist die GT überhaupt fahrbereit? Der Kupplungsgriff baumelt in der Luft und der Motorhaltebolzen steckt seit dem Laverda-Register-Treffen an der Mosel in Bernhards SF, die Tankentlüftung fehlt und die vordere Trommel bedürfte doch dringend vernünftiger Beläge.
Aber zum Suchen oder Umbauen ist die Zeit zu kurz, Batterie an den Lader hängen, Krad in den Bus verladen, ein paar Tomaselli Armaturen nachgeworfen.
Freitag, 14 Uhr, Abfahrt direkt von der Arbeit. Nach gut 500 km Ankunft kurz nach halb acht in Dijon-Prenois. Die Freunde vom Laverda Club de France sind schon da und haben das Zelt aufgebaut.
Nach dem Willkommensbier wird der Werkzeugkasten ausgepackt. Kupplungsarmatur tauschen: Bingo, paßt.
Die GT ist jetzt seit ein einhalb Jahren nicht mehr gelaufen, das bedeutet Schwimmerkammern abschrauben, Staub rausblasen.
Die Club-Freunde gurgeln Bier und gucken ungläubig: "Und Du willst morgen wirklich damit fahren? T'es optimiste!!!"
Werden ja sehen. Benzin rein, Benzinhahn auf. Starter drehen.
Vvvvvvvvvvvvejvejvjvej..... veijjjhhhhhhhveijveijvej.....
Hm!
Das ungläubige Gucken der "Meute" weicht dem "das war ja zu erwarten"-Blick.
Einer meint: schalt doch mal das Licht aus.
Eigentlich macht das bei der GT nichts aus, aber, hmmmmm, das neben dem Lichtschalter, der Killswitch.. muß der nicht anders stehen....? Mal probieren ....

vei---viejveijjj VRAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA

Der "das war ja zu erwarten"-Blick weicht nun wiederum noch ungläubigerem Staunen, während das Megaphon wollüstern Gasstöße in die anbrechende Nacht brüllt.
Endlich ist Zeit für ein Bier. Oder einen Rotwein. Oder Weißwein. Oder Pastis. Oder Whiskey. Oder Calva ... oder .... oder.... die Club-Bar ist gut gefüllt und es gibt so viel zu erzählen, wie soll man den Überblick über die Zahl der Getränke behalten?
Am nächsten Morgen brummt der Schädel mehr als gut ist, die Beine wackeln, aber das Mopped muß zur Abnahme, über den 3/4-Kilometer Schotterweg mit schleifender Kupplung zur Anmelde-Box.
Auauau, wenn das mal gut geht.
Geht es.
Die technische Kontrolle ist schnell gemacht, ein paar Hinweise, ja, ok, wird noch geändert, dann sucht der Prüfer in der Liste der Motorräder, nickt.
Ich will schon erleichtert rausschieben..... "Un moment, il y a un probleme! In der Liste steht eine Trident - und das ist keine!".
Ich versuche - wohl ziemlich schlecht, Französisch mit holländischem Akzent zu imitieren "ah, moto de remplasssement", Ersatzmotorrad. Über des Prüfers Lippen zuckt ein kaum merkliches Grinsen. Natürlich hat er kapiert. Und nickt: OK!
Ich bin jetzt Eric Boelen und fahre eine Laverda in der Klasse J, Classic-Racer bis 1976, Startnummer: 999.

Eine Stunde bis zum Start. Benzin holen, Hauptständer abmontieren.... MERDE! Der Motorhaltebolzen!!!!! Das wars, die erste von drei Serien fällt somit flach.
Ist auch besser so, denn das Oberstübchen ist alles andere als klar...
Der nächste Start ist erst kurz vor sechs Abends, damit ist Zeit, den Teilemarkt nach Bolzen zu durchsuchen, in Ruhe vorzubereiten und die Birne vom Restalkohol zu befreien.
Eine Stunde vor sechs fängt das Adrenalin an zu steigen. Der Kopf ist längst schon auf der Piste, Gespräche dringen nur noch unterschwellig ins Bewustsein. Dann gehts los. Einstieg in Kombi, Helm und Handschuhe, Motor an.
Hinter Bernards "Shakos" 1000er Racer geht's zum Vorstart.

OH SHIT!!!

Was da steht! Benelli, Rickmann, Seeley, Spondon, TZ..... überall blitzen gedengelte Megaphone aus Vollverkleidungen hervor.
Mitten drin die Bastel-GT, ich glaub, die einzige "nackte".
MEINE FRESSE, NIE UND NIMMER hätte die Kommision die GT dort akzeptiert!
Dem Publikum übrigens scheint sie zu gefallen und soundmäßig kann sie eh mithalten. Die italienische Selbstbau-zwei-in-eins hat ihren ganz eigenen Klang: brutal, dreckig, unglaublich viril.
Nach ewigem Warten geht das Tor zur Piste auf.
Ich trete in den "ersten" Gang rein, tuckernd wie ein alter Trekker nimmt die GT langsam Fahrt auf. Hatte ich etwa das Schaltschema umgedreht....? Ach ja!
Bernard "Shakos" hat mir vorher ein bischen über den Kurs erzählt: schnell sei er, die erste rechts nach Startziel ginge voll. Entsprechend optimistisch fahre ich die "erste Rechts" an : ARGL, wo ist die Straße hin!? BREMSEN BREMSEN BREMSEN. Aber da bremst nix!! Zumindest nix vorne. Zum Glück finde ich die Hinterradbremse. Die Kurve verschwindet hinter einer Erhöhung und blind konnte ich noch nie reinhalten, also den Rest des ersten Turns ganz gemächlich "ausspähen". Der Kurs ist zwar nicht "sehr schnell", aber ungemein reizvoll, schöne, variierende Kurvenkombinationen, mal nach außen abfallend, mal abschüssig anzubremsen oder in Schräglage über eine Kuppe, aber ohne fiese Gemeinheiten, und schnell zu lernen.
Langsam steigert sich der Rhythmus. Das erste Problem tritt auf: Hoch schaltet sich die Kiste wie Butter, aber Runterschalten vor Kurven funktioniert nur in einem drittel der Versuche. Schaltklaue verstellt. Fehlende Vorderrad- UND Motorbremse aber vermasseln jegliche Kurvenanfahrt. Überhaupt nimmt der Kampf mit der Schaltung so viel an Konzentration in Anspruch, daß für ein zügiges Einfahren wenig übrig bleibt.
Nebenbei hoppert und flattert die Gabel, die Kombination Reifen/Reifendruck/Gabeldämpfung paßt wohl überhaupt nicht. Die BT45 sind straßenkonform auf 2,6 aufgeblasen, Bernard aber fährt auf seiner Tausender mit den gleichen Reifen vorne und hinten 1,9! Und zieren seit "Der Mosel" meine Auswuchtgewichte nicht die Felgen von Jens'ens GT?
Bei peu à peu steigendem Tempo bleibt das Gabelhoppeln konstant wenn man den Lenker nur leicht dämpfend hält und gegen Ende des Laufs raspelt schließlich der Auspuff.

Ach Herrgott, überhaupt dieses primärkettenheulende, Steigungen hochbrüllende Vieh. Unter seinen harten Vibrationen versagt der Augen Fokus, legen sich Schleier wie dichter Nebel vor die Fahrbahn. Die gekröpften Stummel respirieren Sarinnens Hauch und lassen erstaunliche Vorderadpräzision und federleichtes Abwinkeln in die Kurven zu. Die Laverda fährt exakt dahin wohin sie dirigiert wird. Du faszinierendes Eisenschwein, das einmal in Fahrt, danach schreit, zur Fahrmaschiene zu werden.

Trotzdem bin ich erleichtert nach 20 Minute die Schwarz-Weiße zu sehen. Wie haben sie damals 24 Stunden überlebt?

Diesen Abend bleibt das Hochprozentige in der Flasche. Denn der nächste Turn ist um 9:25 morgens.
Nachts mehrmaliges Aufwachen, es regnet. Und regnet. Und regnet.
Der Acht-Uhr Wecker wird mit mißmutigem Umdrehen im Schlafsack bestraft. Regengräue. Hundewetter. Ohne mich.
Eine dreiviertel Stunde später: rauspellen, denn die anderen sind beim Frühstück, wenn schon nicht fahren, dann wenigsten Geselligkeit.
10 Minunten später, knapp vor neun: was war das? Ein schüchterner Sonnenstrahl? Die Wolkendecke: bricht sie nicht hier und dort ein Stück auf? Und die Piste: trocknet die nicht ab? Express-Brioche. Cafestürzen. Tshirt-Socken-Kombi-Stiefel-Handschuh-Helm-Hektik. Noch 10 Minuten. Motor an, die "Boxencrew" klappt die Ständer weg.
Los.
Parc fermé. Das Tor gibt die Zufahrt frei, dolce, dolce - Reifen und Motor wärmen und die feuchten Stellen auskundschaften. Aber die sind nach der zweiten Runde abgetrocknet: GAAAAAS! Und es läuft. Immer schneller, immer besser. Erste Überholmanöver. Erstaunt stelle ich fest, daß meine Einlenkpunkte wesentlich später als bei den meinsten Fahrern liegen und ich mehrere male innen durch komme. Andere hingegen fliegen an mir im Tiefflug vorbei, daß es nur so kracht, Cochones, verbunden mit 30 PS mehr, 100 Kilo weniger und: Bremsen! Zwar arbeitet die Grimeca-Trommel jetzt etwas besser, doch beim Abbremsen bergab schiebt der Koloß unbändigbar in die Kurve. Die Schaltvorgänge sind nach wie vor Zufallsprodukte, ihre Reduzierung auf ein absolutes Minimum kostet zwar Geschwindigkeit auf den Geraden, bringt aber endlich die saubere, flüssige Linie. Kampffieber stellt sich ein. Jegliche Ermüdung - weggeblasen. Im Sinnenrausch entschwunden - die Umwelt. Am Hinterrad kleben, beobachten, attackieren, vorbei, und wenn nicht, dann beim nächsten Versuch.
Mitten in das Zeitvergessen schwenkt die Drapeau Damier, unerwartet, unerwünscht, reißt einen aus dem Strudel, in dem man sich dreht, weiter dreht, weiterdrehen möchte, immerfort, immerzu....


© RRR.DE - Franky