From: Radbert Grimmig, grimmig@mail.fb15.uni-dortmund.de
Subject: Zonenfeilen Part III
Date: Sun, 24 Oct 1999 21:35:29 GMT
Organization:

Das kann nicht alles sein. Aber jetzt. Aus Warburg, genauer gesagt
Herlinghausen, wurde mir ein echtes Schmankerl avisiert.

Ich bin diesmal deutlich früher da als geplant. Ein etwas muffeliger
großer Mitdreissiger mit blondem Vollbart und Locken, angetan mit
einem Morgenmantel, öffnet und gemahnt mich zur Besonnenheit, während
ein kleiner, aber offensichtlich besonders bösartiger Hund mich
eindringlich inspiziert. Das Tier wiegt keine fünf Kilo, scheint aber
diesen Haushalt gut im Griff zu haben. Die Besitzerin des Zielobjekts
ist noch mit ihren Eltern essen. Na ja, ich bin wirklich volle drei
Stunden früher da als geplant. "Das paßt mir jetzt aber gar nicht",
brummelt Blondie.

Dennoch darf ich es schon mal anschauen. Es steht in der Scheune
hinter einem Pferdetransporter. Auch im funzeligen Schein der einsamen
40-Watt-Birne hoch droben im Gebälk ist noch zu erkennen, daß es sich
bei dem Tarnschema um eine Abart des Standard-Nato-Designs für
Mitteleuropa handelt, wie es etwa auch auf dem Kampfpanzer Leopard II
zu finden ist. Die militärischen Insignien gehen stilistisch etwas
durcheinander: Während von der Schnauze des Seitenwagens die Palmwedel
des Afrika-Korps fröhlich grüßen, scheint das hintere Abzeichen die
Zugehörigkeit zu einer Kompanie bundesdeutscher Panzergrenadiere zu
signalisieren. Die lenkerfeste Halbschale ist passend getüncht. Wie
sich später herausstellt, stammt sie aus Italien, genau wie der
Gabelstabilisator und der Lenkerschwingungsdämpfer (Tarozzi), während
der Seitenwagen sich über ein holländisches Federbein abstützt. Das
Elektrikgebastel oberhalb der Armaturen wird sich später als
funktionsfähiger Zigarettenanzünder nebst Kippschalter für die
Heizgriffe an den Enden des Endurolenkers entpuppen. Letztere sind
selbstgedreht - hier hat wenigstens jemand verstanden, was mit
Ducttape alles geht. Und was nicht geht: Die Bezüge sind alle Original
und unversehrt. 

Ich will mich dem Blonden nicht weiter aufdrängen und mache nach dem
Tanken erst mal eine Zigarrenpause neben einem Rübenacker. Bei meiner
Rückkehr stehen eine knabenhafte Blondine mit einem älteren Ehepaar in
der Haustür. Silke ist die Besitzerin. Da begrüßt mich auch schon ihr
LAG, ein deutlich maskulinerer Typ als der gelockte Sesselpuper von
grade, ebenfalls blond, aber mit Matte, barfuß in Jesuslatschen trotz
Eiseskälte und stahlblauen Augen. Und Augenmaß: Er bugsiert das
Gespann an dem Transporter vorbei aus der Scheune, es paßt um
Sackhaaresbreite. Dafür stößt er sich an einem Beschlag, der
unversehens aus dem alten Gemäuer ragt, fast ein Auge aus.

Auch im Tageslicht wirkt der handgepinselte Lacküberzug noch so
harmonisch wie auf meinem alten Zehntonner beim Bund. Der MAN selig
ölte aber nicht aus dem Zylinderkopf, sein Motor war nicht so
schmierig und auch seine Reifen niemals so weit abgefahren. Unter den
Faltenbälgen glitscht es ebenfalls hervor, und riefige Standrohre
künden von sozialistischer Fertigungspräzision. Dieses Geschoß wird
ebenfalls von dem "300-Kubik"-Zylinder befeuert und ist mit satten 23
PS eingetragen. Hinter mir taucht, hoch zu Roß, Claudia auf, Silkes
Mitbewohnerin in der lippischen Idylle, die im Folgenden nicht müde
wird, die Vorzüge des Gefährts anzupreisen. Mann könne an dem Teil
sogar einen Rasierapparat anschließen! Irgendwo daaa ... tatsächlich,
neben dem linken Standrohr findet sich ein weiterer
Bordspannungsanschluß. Lieber wäre es mir, wenn das Kabel zum
Verkleidungsblinker etwas weniger großzügig verlegt worden wäre.

Nach dem Debakel in Wuppertal lasse ich mich lieber wieder durch die
Gegend kutschieren. Der Chokegriff wurde durch eine kunstvolle
Konstruktion rund um eine halbierte Wäscheklammer am Ende des
Bowdenzuges ersetzt. Beeindruckt von Blondies kernigem Tritt mit der
Jesuslatsche springt ER (Claudia: "Er heißt übrigens 'Bruno'") nach
dem ersten Kick an. Dummerweise läßt Blondie "Bruno" wieder absterben,
was den beiden einige fröhliche Minuten Gekicke, mehrmaliges
Kerzentrocknen, schließlich -wechseln und zum Schluß einen rasanten
Schiebestart einträgt. Danach brettern wir fröhlich ohne Helme eine
Runde ums Dorf, auch Blondies erste Fahrt mit diesem Gefährt übrigens.
Für ein MZ-Gespann gehe das Teil wirklich ordentlich, sagt er, aber
ihm sei die Gabel zu weich und die Spureinstellung
verbesserungsbedürftig. Die Fußbremse sei "eben MZ", die Vordere aber
recht gut. TÜV hat die Möhre immerhin bis 3/01. Ein abschliessender
Blick auf die Elektrik ergibt, daß nur die Zubehör-Leuchtenkombination
am Seitenwagen sich nicht so recht entscheiden kann, ob sie mit
Blinker oder Rücklicht blinken soll.

Und nu steh ich da mit meinem kurzen Hemd. 2K2 will sie dafür, sonst
will sie ihn lieber weiterfahren. Claudia kann nicht verstehen, was es
da noch groß zu überlegen gibt. Ich kann sie insofern beruhigen, als
daß alle anderen im Vergleich zu "Bruno" bisher die reinsten Grotten
waren, und berichte von Guildo aus Wuppertal. "Hinter so nem Tor mit
Amiflagge?" fragt Blondie. "Lille!" Heiterkeit allenthalben. Guildo
scheint hier unter seinem anderen Pseudonym nicht ganz unbekannt.

Nun wäre dieses Gefährt selbstredend genau das Richtige, um mein
hartes, markantes Windgesichts-Image wieder etwas geradezubiegen, das
unter der CB-Verschenk-Aktion vielleicht ein klein wenig gelitten hat.
Aber isses ein reeller Preis? Soll ich lieber die Maschine von dem
Verwirrten aus Lippetal nehmen und den Wagen aus Wuppertal
dranfrickeln - oder sie so lange solo fahren, bis sich ein wirklich
ordentlicher Wagen findet?

Fragen über Fragen.

Gruss, Radbert
-- 
http://www.rrr.de/~radbert