Vögel zwitschern. Das Licht ist dämmrig. Ich befinde mich in einem
verlassenen Büroraum im ersten Stock eines ehemaligen Fabrikgebäudes
in Wülfrath. Offensichtlich bin ich der einzige Überlebende des
drf-Workshops gestern. Wie grauenvoll. Kurz nach Mittag wollte ich in
Lippborg sein, um ein zweites potentielles Dreirad zu besichtigen. Es
gibt weder warmes Wasser noch Kaffee. Ein Sonntagmorgen nach Maß.
Kurze Zeit später stehe ich vor einem kleineren hof-artigen Gebäude in
Ostwestfalen-Lippe. Mir wurde eine seitenwagenfähige ETZ 250
versprochen, Exportmodell, mit 300-Kubik-Zylinder, aber 17 PS
eingetragen. Der Besitzer hat sie nur kurz zugelassen, um seinen
Versicherungsrabatt nicht zu verlieren. Dazu hätte er einen alten
Superelastik in der Scheune liegen, Bj. 64, noch die Version mit
mechanischer Bremse und feststehendem Kotflügel. Die, so habe ihm
Dietz in Ennepetal erzählt, werden so um die 800 Mark gehandelt. Für
beides samt einigen Kleinteilen (unter anderem Gabel und
22-Liter-Tank) verlangt er 1400. Außerdem wollte er am Samstag von
einem dubiosen älteren Herren ein neueres Komplettgespann aufreißen,
das so um die 1800 liegen sollte.
Leider muß ich erfahren, daß letzterer Plan bis jetzt nicht
funktioniert hat. Doch die Solo-Emme ist im Vergleich zum Wuppertaler
Lastesel ein richtiges Schmuckstück. Der ehemals schwimmbadblaue Tank
und die Seitendeckel wurden weiß gerollt. Kaum Rost, Schutzbleche sind
aus VA, Ölpumpe stillgelegt, Öltank entfernt, Chromblinker,
Bing-Vergaser, Elektrik geht alles. Sie scheint zunächst nach Holland
geliefert worden zu sein, von wo sie der Vorbesitzer dann wieder
re-importierte; der Papierkram ist etwas dubios, deutscher Brief aber
vorhanden. Sie springt spontan an und läuft recht gut. In Kurven,
verglichen mit meinem modernen japanischen Tourensportler, zugegeben
etwas wabbelig, aber der Antritt zwischen 3 und 5 K ist schon fast
echt zweitaktmäßig - und diese hier hat sogar Standgas. Alle Gänge
gehen, Tacho 110 ohne großen Anlauf, angeblich mit Gespannübersetzung.
Auch nach der Probefahrt ist der Motor rundrum trocken - nicht
schlecht, Herr Specht. Auf in den alten Taro, zur Scheune mit dem
Beiwagen.
Hier harrt leider eine Enttäuschung - so stark die Maschine war, so
schwach ist die Gondel. Innen ist sie mit altem Polyesterteppich
(orange-gelbes Blumenmuster) ausgeschlagen, darunter nicht
durchgerostet, aber wohl relativ kurz davor. Schließmechanismen sowohl
für Klappe wie Kofferraumdeckel fehlen, desgleichen das Bremspedal,
dafür ist die Bremse auf Hydraulik umgerüstet worden. Hieran wurde
schon eine Menge rumgepfuscht. Wer für so was 800 Mark ausgibt, kann
nicht ganz bei Trost sein. Auf nach Warburg.
[Fortsetzung folgt]
Gruss, Radbert
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http://www.rrr.de/~radbert