From: Joern Radek, Joern_Radek@T-online.de
Subject: Re: Naked Biker's Vermächtnis
Date: Fri, 18 Jun 1999 14:39:58 GMT
Organization: T-Online

Hallo Georg,
langsam verliere ich den Überblick, wer will, wer hat und wer nicht.
Jedenfalls hier - ich hoffe nicht verdoppelt - die Story:

Naked Biker's Vermächtnis

Mich ärgert, wenn Schreiberlinge ohne wirkliche Kompetenz -
insbesondere bei den Tageszeitungen - über das Motorradfahren
schreiben. Gerade heute kam mir wieder so ein Machwerk unter die Augen
und ich konnte nicht anders, als an den Schreibtisch zu stürzen und
folgendes aufzuschreiben:

Diese Zeitungs-Menschen können ja selbst meist nichts dafür. Sie
bekommen den Auftrag und müssen was herzaubern, ohne selbst die
entsprechenden Hintergründe parat zu haben. Heraus kommt ein hilfloses
Mischmasch von Begriffen wie "Feuerstühle", "PS-stark", "Faszination",
"Fan", "Rausch", "Droge", "schnell", usw. . Ein besonderer Schwerpunkt
wird auch meist auf das Thema "Unfälle durch Raserei" gelegt. 
Wenn ich die Artikel auf mich wirken lassen, so habe ich
Schwierigkeiten, mir die Gruppe vorzustellen, die sie mit Gewinn lesen
kann. Ältere (z.B. auch zwei, drei Damen, an die 80 Jahre alt, aus
meinem Frauenbund) haben oft eigene Motorraderfahrung und wissen
zumeist, daß es bei ihnen anders war, als da suggeriert. Jüngere sehen
vor allem den mahnenden Zeigefinger und die Aura des Unerlaubten,
Ungesetzlichen, - wasauchimmer das dann an Verhalten produzieren mag. 
Am besten passen die Artikel noch zu denjenigen aus der mittleren
Generation, die sich schon mit dem Fahrradfahren schwer taten und nun
Argumente brauchen um das Verpaßte zu verteufeln oder aus sicherer
Entfernung heimlich zu bewundern.

Ich selbst habe einige Erfahrung mit Motorrädern im Straßenverkehr
gesammelt:

Garelli, 50 ccm, ca. 6 PS, max. 70 km/h, 18.000 km.
Honda Dax ST 70, 70 ccm, 5,2 PS, 65 km/h, 22.000 km.
MZ 250, 250 ccm, 21 PS, 120 km/h, 7.000 km.
Honda 250 G, 250 ccm, 27 PS, 135 km/h, 76.000 km.
Yamaha SR 500, 500 ccm, 27-34 PS, 140 km/h, 54.000 km.
Moto Morini, 500 ccm, 47 PS, 170 km/h, 17.000 km.
Kawasaki ZL 600, 600 ccm, 76 PS, 220 km/h, 24.000 km.
Yamaha Virago, 550 ccm, 43 PS, 150 km/h, 21.000 km.
Kawasaki ZL 1000, 1000 ccm, 210 km/h, 18.000 km.
BMW R100R, 1000 ccm, 180 km/h, 62.000 km.
Moto Guzzi Monza, 500 ccm, 50 PS, 160 km/h, 4.000 km.
Kawasaki ZRX 1100, 1100 ccm, 210 km/h, 22.000 km.

Ergibt zusammen gut über 300.000 km, - mit steigender Tendenz.

Ich möchte hier einen Erlebnisbericht schreiben, der denjenigen,
welche zum Thema "Motorrad" ein eigenständiges, ausgereiftes
"Verhältnis" aufbauen möchten, als eine von vielen Grundlagen dienen
könnte. 
Wir Motorradfahrer sollten - so unterschiedlich wir auch sind - uns
nicht einfach reduzieren lassen auf hirnlose, verbrecherische
Drogenabhängige. Schon die mir oft begegnende Feststellung, ich sei
ein Motorrad-Fan, bringt mich auf die Palme. Ein Fanatiker ist ein
zumeist bösartiger, bessessener Eindimensionalist. Hab' ich keinen
Bock drauf, so gesehen zu werden. Deshalb etwas "Fleisch" zu den
"Knochen". Motorradfahrer sind nämlich in erster Linie Menschen.

Erste Erfahrungen:

Für mein erstes Mopped mußte ich hart arbeiten. Sage und schreibe 2.71
DM bekam ich pro Stunde bei einem Ferienjob. Ich sollte einem Arbeiter
helfen, Kisten auszuräumen, die höher und bestimmt fünfmal so schwer
waren, wie ich selbst. Dazu gehörte: Kiste mit Stemmeisen etwas
günstiger hinhebeln, in Schwingung bringen bis sie kippte, Sackkarre
mit einer Hand in der richtigen Position halten, mit vollem
Körpergewicht, den Schwung der fallenden Kiste nutzend, in die Balance
bringen, an den Zielort schieben, Deckeln öffnen, Spulen in Kisten
umsetzen, an die fürchterlich eintönig laut sirrenden Maschinen
bringen. Dort arbeiteten die Leute in Akkord. Wehe, ich wäre zu spät
gekommen und hätte nicht alle vorausschauend bedient. Der Arbeiter
wurde krank. Ein Schüler im Akkord, für 2.71 Märker. Nicht ganz 300
Mark bekam ich zusammen, die Garelli kostete 500. Eine
Zweite-Wahl-Maschine aus dem Kaufhaus, an der ich keine Fehler
entdecken konnte. Mein Vater hatte Mitleid und schoß den Rest dazu. Er
meinte: "Ich habe jetzt gesehen, daß du das wirklich willst. Aber Du
sollst wissen: Ich sehe es nicht gerne, wenn Du Moped fährst, das ist
gefährlich." 

Dann kam der große Tag: Per Transporter wurde die Garelli frei Haus
geliefert. Damals konnte man den Führerschein noch rein per
theoretischer Prüfung ablegen. Ich hatte auch keine Freunde, die mich
in die Fahrkünste hätten einweisen können. Also, Betriebsanleitung
raus, lesen, wo ist die Kupplung, wo das Gas, wo die Bremsen, wo die
Schaltung. Kanister kaufen, zu Fuß Benzin von der nächsten Tankstelle
holen. Was hatte ich allein schon Sorgen, ob auch das
Mischungsverhältnis von Öl und Sprit stimmt, damit der Motor nicht
gleich fest geht oder überhitzt oder zusifft. Zugelassen war das Gerät
noch nicht. Trotzdem: Ich schob (!) es den Berg vorm Haus runter, weil
ich Scheu hatte, gleich bergab zu fahren, es könnte zu unbeherrschbar
schnell für mich werden. Ich hatte noch kein Zutrauen in die Bremsen.
Als es nach 200 Metern wieder bergauf ging, verschnaufte ich erstmal,
las nochmal in der Betriebsanleitung wie alles funktionieren soll,
übte erst mal trocken. Dann Motor an, Spannung, Schweiß, Jubel, er
lief nach ein paar Kickversuchen! Gas, Kupplung, hupps, aus. Das Spiel
wiederholte sich ein paarmal. Nochmal die Betriebsanleitung, aha, mehr
Gas, mit der Kupplung spielen, wasauchimmer das bedeuten sollte.
Jedenfalls, jetzt bewegte sich das Teil tatsächlich, nur, der Motor
wollte schon wieder absterben, weil es jetzt kräftig bergauf ging. Ich
zieh die Kupplung, der Motor heult auf, ich lasse sie auf einen Schlag
kommen und plumps, sitze ich auf meinem Hinterteil und das Gerät fällt
auf die Seite. Ausgespielt. Scheiße (Nr. 1). Ein ganz schlimmes
Gefühl: So hart dafür gearbeitet und jetzt schon alles kaputt!? So
schlimm war's dann glücklicherweise nicht. Nachdem ich die Garelli
aufgerichtet hatte, mußte ich nur den Spiegel zurückbiegen.
Wer vom Pferd gefallen ist, soll gleich wieder aufsteigen. Also, ich
wagte noch einen Versuch und achtete auf (fast) alles: Kupplung und
Gas spielten richtig zusammen, für Sekunden begann es richtig Spaß zu
machen, diesmal eine flachere Route anvisiert, der Berg nicht zu
steil, nur dann: Eine Mülltonne mitten im Weg. Daß das Ganze auf der
Straße stattfindet und die nun nicht zu steile Route direkt in eine
breite Einfahrt mit besagter Mülltonnen führte, war mir ganz
entgangen. Vollkommen geschafft, schmutzig und stinkig vom
Mülleinräumen, mit 'ner angeschrammten Jeans, vernachlässigbar
leichten Abschürfungen an den Händen und einem verbogenen Spiegel
schob ich mein Motorrädchen schwitzend den Berg hoch nach Hause.
Aber: Ich hatte eine erste Ahnung, worum es geht.
Tage später ging ich es klüger an und düste zunehmend mutiger - immer
noch ohne Nummerschild - durch vertraute Wälder und Wiesen. Auch über
die "Au", eine wirklich feuchte, aber vertrauenserweckend große,
flache Wiese ohne jede Mülltonne. Aus der Feuchte wurden im hohen Gras
versteckte Pfützen, bis das schwache Motorchen es nicht mehr packte,
ich auch irgendwie nicht mehr die Kurve bekam, immer tiefer, bis ich
stand und seitwärts zu Wasser platschte. Sch... Nr. 2.
In den Folgemonaten wurde dann alles legal und ich merkte, daß es auf
normalen Straßen wesentlich leichter zu fahren ist.
Jetzt wurde die Wartung zum Thema. Schlechtes Werkzeug und Null Ahnung
bescherten mir so manche runde Schraube. Für die Werkstatt hatte ich
kein Geld. Der Auspuff fiel oft ab: Mit Tesafilm und Draht rückte ich
ihm zu Leibe. So richtete ich das Teil langsam zu Grunde. 
Von einer Party fuhr ich mit einem Klassenkameraden (Elmar, heute
Sportreporter in Bayern) bei Nacht durch den Wald nach Hause: Auspuff
undicht, kein Licht, Elmar hielt mir 'ne Taschenlampe über die
Schulter, Reifen blank. Am schwierigsten war aber die Sache mit dem
gerissenen Gaszug. Ich hatte ersatzweise am Vergaser eine Lederschnur
befestigt und die auch am Lenker festgebunden, um mit dem Ellbogen Gas
zu geben. Linksherum gab die Maschine jetzt selbst Gas, in
Rechtskurven wollte sie kippen, weil mein Ellbogen das Lederband nicht
mehr spannen konnte. Aber geradeaus, das ging ganz gut. Und sogar der
Polizei bin ich so mal weggefahren. Die standen an einer
Bushaltestelle, Bundesstraße bei Oberweiler-Tiefenbach. Ich kam vom
Reckweilerhof her. Als ich sie sah: Kehrtwendung und über Feldwege
weiträumig umfahren. Von der anderen Seite des Tales konnte ich den
Grünen aus sicherer Entfernung bei der Arbeit zusehen.
Sehr lehrreich war für mich der Besuch eines Rock-Konzertes in
Kaiserslautern. Damals war das halt so: Ein paar Amerikaner ließen ein
"Pfeifchen" (don't bogard their joint, my friend, pass it over to me)
rumgehen. Ich zog auch mal dran und war "gut angetörnt". Auf der
Rückfahrt später meinte ich nichts mehr zu spüren. Nur, ich hatte den
immensen Drang, immer auf das Licht von entgegenkommenden Fahrzeugen
zuzusteuern. Es war richtig Arbeit, rechts zu bleiben. Ich war
heilfroh, zu Hause gut angekommen zu sein und von da an: Drogen und
Motorrad, das paßt nicht zusammen. Aus, Schluß fertig, ein für
allemal.
Mit der Garelli hatte ich auch den ersten ernstzunehmenden Unfall, der
glimpflich verlief. Unübersichtliche Kurve im Ort, ein PKW parkt
saublöd im Halteverbot direkt hinter der Kurve, durch Nieselregen
glatte Fahrbahn. Das Auto vor mir bremst hart, wegen eines
entgegenkommenden Lastwagens. Ich auch in die Eisen, überbremse und
rutsche prompt weg. Zum Glück konnte der LKW über den Bordstein
ausweichen, sonst hätte er mich erwischt. So stand ich auf, kickte
wieder an und fuhr gleich weiter. Ein paar Kilometer später begannen
mir dann erst die Knie zu schlottern und ich mußte bei einer längeren
Zigarettenpause den Schock erst mal verkraften.
Ich habe die Garelli schließlich für 300 Mark nach knapp 2 Jahren
verkauft, an einen erfahrenen Handwerker mittleren Alters, der für
seine Tochter ein billiges Teil suchte.
Dann war das erste Auto, ein Käfer angesagt. Nach zwei Jahren war der
hinüber und die alte Idee erwachte wieder: Ein Motorrad.

Die Meditation:

Kassensturz: Es reichte nur für eine Honda Dax ST 70. Die
Lenkerhälften einklappbar, ums in den Kofferraum eines Autos (das ich
nicht hatte) zu legen. Aber mit einem riesigen "Kuchenblech" als
Nummernschild und - zumindest per Gesetz - autobahntauglich. Mit Mühe
erreichte sie manchmal sagenhafte 70 Stundenkilometer, abenteuerlich
bei den kleinen Räderchen, hatte aber einen tollen Sound. Machte sogar
richtig Spaß. Die Glanztat war: 3.400 km Urlaub durch Frankreich und
die Alpen nach Italien. Ums es mal zu verdeutlichen: Natürlich zu
zweit, mit Freundin! Mir blieben wenige Zentimeter zum Sitzen, einmal
auf der linken, dann auf der rechten Po-Backe. Mit dabei: Zelt, 2
Schlafsäcke, Kocher, Geschirr, Besteck, ein paar Suppen aus der Tüte.
Ein 5-Liter Kanister Benzin, weil der Tank zu klein war um die
Abgabemindestmenge an den Tankstellen zu erreichen. 2-Liter-Flasche
Wasser, Kleidung, Foto, einfach alles, was man für einen Urlaub
braucht. Von hinten sah man nur noch knapp die Helme über das Gepäck
herausragen. Mit dem Gasgriff mußte ich vorsichtig umgehen, denn der
durch die immense Überbeladung ungünstige Schwerpunkt ließ das
Vorderrad schnell den Bodenkontakt verlieren.

Tja, und mitten auf einer einsamen Strecke im Zentralmassiv
Frankreichs ging eines heißen Tages um die Mittagszeit plötzlich der
Motor aus. Sprintmangel? Kann doch eigentlich noch nicht sein. Ich
öffnete den Tank, war wirklich noch genug drin. Und die Dax sprang
auch wieder an und lief ... für wenige hundert Meter. Das Spiel
wiederholte sich. Entnervt suchte ich Schatten. Da kam ein
freundlicher Spanier auf seiner 250er vorbei. Er war technisch echt
fit. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, schauten die Zündkerze
nach, überprüften auf Zündfunke, bauten zusammen den Vergaser aus,
bliesen die Leitungen durch (schon mal den Mund voll Sprit gehabt?),
probierten dies und das, bis er mich nach knapp zwei Stunden wie
erleuchtet anschaute. Und mir ging gleichzeitig mit ihm ein Licht auf:
Tatsächlich, die Tankdeckelbelüftung hatte ich beim letzten Tanken aus
Versehen zugedreht, das konnte ganz leicht passieren. Er hätte mich
bestimmt ohrfeigen können und ich mich auch. Aber heiße Ohren hatte
ich eh schon. So begnügten wir uns damit, erleichtert zu lachen.

Das zwangsweise bedächtige und entspannt sonore Tuckern über kleine
Landstraßen öffnete alle Sinne zur intensiven Wahrnehmung. Wir konnten
jede Einzelheit ausgiebig genießen, jedem Vogel eine ganze Weile
zuhören. Die Heimreise gestaltete sich dann freilich zur Tortur. Ich
hatte mir eine große Distanz vorgenommen. Nach an die 16 Stunden waren
die Schmerzen am Hintern kaum mehr auszuhalten. Die Sonne brannte, ich
so totmüde, daß mir die Augen zufallen wollten und ich einfach
anhalten mußte. Wenige Momente  später schlief ich unter einem Baum
ein. Irgendwie haben wir's dann noch nach Hause geschafft. Die letzten
100 Kilometer rutschte freilich immer häufiger die Kette übers völlig
verschlissene hintere Kettenrad, mehr als maximal 40, bergab auch mal
50 km/h waren nicht mehr drin.

Die Dax war einfach süß. Der Vermieter meiner Studentenbude in Mainz
(Alois Berg, ein Obstbauer) baute ihr sogar ungefragt einen eigenen
Verschlag zum Unterstellen. "Jetzert han zwar die Wuze im Stall nimmie
soviel Licht, awwer die brache a nix zu siehe." 

Von Mainz aus packte mich mal mitten im Winter das Fernweh. Es war
schon am Dunkelwerden, da brach ich bei kräftigen Minusgraden nach
Osnabrück auf, quer durch den Westerwald, der dem bekannten Lied alle
Ehre machte. Also, manchmal nur im ersten Gang durch Eis und Schnee,
Sturmböen machten's nicht leichter. Von der Schönheit der Region war
bei dem Nebel und der Dunkelheit rein gar nichts auszumachen.
Unterwegs lief ich barfuß im Schnee, um die erstorbenen Füße
vielleicht wieder zum Leben zu erwecken. Mit autogenem Training
versuchte ich Wärme in die Extremitäten zu schicken. Bremsen konnte
ich nur noch aus der Schulter heraus, die Hände waren schon lange
unbeweglich. Gegen 5 Uhr kam ich in Hilter an, wo Hartmut, mein
Freund, den ich besuchen wollte lebte. Er schlief wie ein Toter. Die
Tür blieb zu. Ich rollte meinen Schlafsack in einer lausig zugigen
Bahnhofsunterführung aus. Wenige Minuten später quietschte und
kreischte der erste Frühzug ein und die Fahrgäste stiegen über mich
weg. Das Ganze war Körpererfahrung pur, es hatte schon etwas gemeinsam
mit den härtesten Prüfungen, die Zen-Mönche auf sich nehmen. Ich weiß
gar nicht, warum so manche einen Haufen Geld für Selbsterfahrungskurse
hinlegen, hier hatte ich das kostenlos und bestimmt nicht weniger
intensiv.
Heute bedauere ich fast, daß ich die Dax nicht in die Vitrine gestellt
habe, doch jetzt sollte doch ein Tick mehr Leistung her. Das nur
beschauliche Tuckern hatte ich zur Genüge ausgekostet. Genug
meditiert, fühlte mich ja schon fast als Guru.

Das Rauhbein:

Die MZ kaufte ich für 1200 Mark gebraucht. Sie stammte aus Berlin. Sie
zog ab "wie die Sau", nur etwas rauh. Die 120 km/h reichten mir
vollauf. Das Raue im Motorlauf mündete nach weniger als einem Jahr in
ein wüstes Gekreische: Ein Lager hatte sich aufgelöst, die Wälzchen
zerschlugen den Motor von innen, Totalschaden. Einer gab mir noch 150
Mark für die MZ als Ersatzteilllager. Sie hatte mir auch vorher nur
wenig Freude bereitet: Sie stank widerlich nach Zweitakter, in
Rechtskurven wollte einen eine ungünstig angebrachte Schelle am
Auspuff aus der Kurve hebeln. Ein richtig ungehobeltes Teil.
Bei der MZ versuchte ich mich zusammen mit einem diesbezüglich
gänzlich unerfahrenen Freund und dessen Vater, der "sowas früher an
seiner alten R25 schon oft gemacht hat" am Reifenwechsel. Einen ganzen
Samstag bis in die Nacht hinein quetschten wir uns die Finger,
fluchten, schoben, zogen und drückten, bis der neue Pneu endlich saß.
Dann interviewte ich mal einen Profi, kaufte mir die richtigen Hebel
und konnte es fortan in 1-2 Stunden alleine erledigen. Heute freilich
käme ich nicht mehr auf die Idee.

Kultureller Aufstieg:

Jetzt sollte es was Feineres sein. Ein Bekannter gab seine
wunderschöne, sehr gepflegte CB 250 G nach rund 9.000 km ab. 27 PS!
Ich schlug nach Augenschein "blind" zu und war nach der ersten
Ausfahrt von der Leistungsentwicklung total enttäuscht. Das Ding zog
überhaupt nicht. Da war die MZ doch was andres gewesen. Dann entdeckte
ich, daß die Honda hohe Drehzahlen braucht, um voranzukommen. Das fiel
mir am Anfang richtig schwer, ich wollte das Rädchen ja nicht quälen.
Und es mußte bei meiner spärlichen finanziellen Ausstattung jetzt auch
wirklich lang halten. Auf der Autobahn bei Gegenwind gestaltete sich
das später so: 3. Gang, hochdrehen bis zum Geht-Nicht-Mehr, 90 km/h,
4. Gang, zurückfallen auf 70 km/h, 3. Gang..... Stöhn.
An die CB 250 traute ich mich bastelmäßig anfangs überhaupt nicht ran.
Als mir aber die eine Werkstatt beim Ölwechsel die Ablaßschraube
zuerst rund machte und dann in die falsche Richtung aufzumeißeln
versuchte und ich das Ganze auch noch teuer bezahlen durfte, als mir
die nächste Werkstatt die Maschine mit genauso laut klappernden
Ventilen zurückgab, wie angeliefert und ich wieder anständig berappen
durfte, - hatte ich die Nase voll und kaufte mir mein erstes
Werkstatthandbuch.
Außerdem entdeckte ich den Roman: "Zen - oder die Kunst, ein Motorrad
zu warten." Wirklich nur ein Roman, der nur am Rande mit
Motorradwartung zu tun hat, aber er "verzauberte" mich. Der Autor
philosophiert darin über das Thema "Qualität", und ich merkte, daß
sich über das intensive Lesen mein Zugang zur Technik zu ändern
begann. Schwer zu beschreiben wie. Das Motorrad verlor von seinem
Black-Box-Charakter. Alle kochen nur mit Wasser. Nicht den zweiten
Schritt vor dem ersten machen. Genaue Analyse eines Problems, testen,
ob die Analyse stimmt. Lösungen denkerisch durchspielen, bis die Sache
klipp und klar auf dem Tisch liegt und dann wird die Reparatur oder
Wartungsarbeit zu einer ganz einfachen Sache, bei der ich einem klaren
inneren Bild folge. 
Da hatte ich ein riesiges Erfolgserlebnis. Ich fuhr vom Studienort
Mainz zurück Richtung Heimat (Wolfstein). Plötzlich lief  die Honda
nicht mehr richtig, schwarzen Qualm sah ich im Rückspiegel. Nur kurz
hielt ich an, um zu prüfen, ob ich überhaupt weiterfahren kann. Dann
schlich ich ganz langsam weiter und begann nachzudenken und zu
analysieren, ging das Werkstatthandbuch in Gedanken durch, versuchte
genau zu empfinden und auszutesten, wie sich der Motor verhielt. Ich
schleppte mich bis nach Hause, Schraubenzieher her und Minuten später
hielt ich das defekte Teil in der Hand: Eine Vergasermembran war
gerissen.
Von da an war mir klar: Was ich nur irgend kann, mach' ich in Zukunft
selber! Den Pfusch der Werkstätten war ich satt. Lieber zahle ich
Lehrgeld und mache selbst den Fehler und lerne dabei wenigstens etwas
für die Zukunft. Immerhin wurde die Honda darüber 76.000 km alt und
ich konnte sie noch für 1700 Mark weiterverkaufen.
Dazwischen freilich auch ein herbes Erlebnis in Schottland. Wir hatten
nach langer Fahrt einen kleinen Zeltplatz im sehr einsamen Norden
gefunden, waren aber zu müde um alles abzupacken. Nur das Zelt
stellten wir auf. So fuhr ich mit meiner Freundin und schwerem Gepäck
in den nächsten "größeren" Ort, Lochinver und erholten uns ein wenig
in einer Kneipe. Übrigends, siehe oben, no drugs, also auch kein
Alkohol! Wir trafen einen Australier, der gerade mit seiner 175er (!)
sich auf einer Weltreise befand. Es wurde ein netter Abend und es
stellte sich heraus, daß er auf demselben Platz sein Zelt
aufgeschlagen hatte. Bei der Heimfahrt fuhr er vorneweg. Und irgendwie
kamen wir nicht richtig hinterher. Das kann doch nicht angehen, dachte
ich, schließlich ist mein Motorrad deutlich stärker! So gab ich Gas.
Die Straße war nur einspurig und alle paar hundert Meter kam ein
Ausweichplatz. Das ging gut bis zu einer scharfen Rechtskurve, die
zudem eine Senke darstellte. Links war ein Ausweichplatz und der nach
ja nur nach links ausleuchtende Lichtkegel ließ diesen wie die
Fortführung der Straße aussehen. Als ich den Irrtum bemerkte, war's
auch schon zu spät. Ich mußte scharf nach rechts ziehen, wegen der
Senke federten wird zusätzlich ein, was die Bodenfreiheit weiter
verringerte. Mit kratzender Fußraste und immer noch zu großem Radius
und etwa 90 km/h verließen wir die Straße und knallten auf einen gut
einen Meter hohen, sehr standhaften Fels. Es gab ein ganz
fürchterliches Geräusch, das mich noch wochenlang mit einem Schauer
verbunden verfolgte. Dann war es totenstill, wir flogen über den Fels,
schlugen auf die Straße auf, wieder Stille, dann krachte es rund zehn
große Schritte vor uns. Dort schlug das Motorrad ein, das im hohen
Bogen über uns weg katapultiert worden war. Es klang nicht gut. Und
dann war es endgültig still.
Als erstes rappelte ich mich hoch und lief zu Jutta, die im
Straßengraben lag. Sie lebte, atmete, jammerte über Atemnot und konnte
sich nicht bewegen. Dann ging ich zum Motorrad, zog es von der Straße
in den Graben, damit es als Gefahrenquelle aus dem Weg war. Zurück zu
Jutta. Ich kann das entsetzliche Gefühl dieses Moments gar nicht mehr
recht in Worte fassen. Was hatte ich angerichtet, bloß weil ich
meinte, mit der leichten 175er mithalten zu müssen. Ich stammelte
alles Mögliche. Wie es mir leid tut. Daß alles gut wird. Ganz langsam,
nicht bewegen. Dann erst merkte ich meine Verletzungen. Im
Wesentlichen blutete nur meine rechte Hand, weil ich Superschlauer auf
Handschuhe für das kleine Stück verzichtet hatte und die Haut tief
eingerissen, abgeschürft und voller Dreck war. Seitdem: Nie (!) ohne
Handschuhe, Helm und ausreichende Kleidung, und wenn das Stück noch so
klein und es auch noch so heiß sein sollte !!!
Fast 30 Minuten lagen wir da, bis der Australier zurück kam um zu
schauen, wo wir bleiben.  Der Krankenwagen kam nach gut einer Stunde.
Jutta hatte den Arm gebrochen und ein paar Rippen angeknackst. Zum
Glück nicht wirklich schlimm. Wir wurden notdürftig versorgt und spät
in der Nacht aus der Praxis des Landarztes zum Zeltplatz gefahren. Wie
man in so einem Zustand, mit all den Prellungen in ein
minimalistisches Zelt und den Schlafsack kommt? Besser nicht fragen.
Noch schlimmer spürten wir am nächsten Morgen die zerschlagenen
Knochen.
Rund 100 Kilometer ging's vormittags dann mit einem Landrover an die
gegenüberliegende Küste Schottlands ins nächste Krankenhaus. Juttas
Arm wurde geschient. Mich wollten sie nähen. Ich hatte Angst davor,
habe mich geweigert, zum Glück, wie sich später herausstellen sollte,
denn tief in der Wunde waren immer noch Gras und ein Steinchen, was
über die nächsten Tage dann herauseitern konnte. Gegen 19 Uhr waren
wir wieder zurück.
Der Australier hatte sich einen Rover geliehen, die demolierte Honda
geholt, und doch tatsächlich mit Stangen, Steinen und seinem
Bordwerkzeug fast alles einigermaßen wieder hingebogen. Sie lief! Ein
Zauberer. Die Federung funktionierte zwar vorne nicht mehr und die
Maschine zog so fürchterlich nach einer Seite, daß ich schon nach
wenigen Kilometern Krämpfe bekam und Lockerungsübungen machen mußte,
aber: Wir konnten fahren! Es wurde noch ein wunderschöner Urlaub,
denn: Jetzt war klar, ich mußte alles machen, waschen, kochen, auf-
und abbauen, usw., vorher hatten wir uns immer drüber gestritten, wer
was zu erledigen hatte. Mein schlechtes Gewissen half mir alle
Faulheit überwinden.
Auf dem Zeltplatz hatten wir auch einen urig netten Engländer samt
Familie aus Sheffield kennengelernt. Der lud uns ein, in ihrem Haus
Station zu machen. Dort wurde mit Hilfe eines Wagenhebers für
Lastwagen dann die Vorderradgabel der Honda zurechtgebogen, so daß wir
nach ein paar Tagen richtig komfortabel, mit funktionierender Federung
nach Hause fahren konnten. Klar, die anstehenden Reparaturen habe ich
dann selbst übernommen.
Irgendwann waren dann die Auspüffe der Honda altersbedingt
durchgerostet. Ich schmierte und klebte und legte Manschetten und
Bandagen. Und immer wieder knallte mal der ein, mal der andere Auspuff
mit gewaltiger Fehlzündung durch. Zu der Zeit gab es gerade viele
Straßensperren wegen der Fahndung nach Terroristen. Genau an so einer
Sperre kurz nach Kaiserslautern auf der Autobahn Richtung Ludwigshafen
passierte es mal wieder: Mit einem Knall, wie aus einer Magnum,
verabschiedete sich mein letzter Reparaturversuch. Ich hatte eine
Heidenangst, daß die Maschinenpistolen-bewaffneten Grünen das jetzt
mißverstehen könnten. Aber auch durch die Vollsperrung bei Grünstadt
kam ich mit niedrigsten Drehzahlen und viel Kupplung ungeschoren
durch.
Und noch ein Stück Leben mit der CB 250 G: Eines samstags hatte ich es
eilig und immer noch nicht ausreichend Geld. Kette schmieren war vor
der Ausfahrt noch angesagt. Ich holte mir Altöl vom letzten Ölwechsel
aus dem Keller und einen Pinsel. Das war mühsam, dauerte mir zu lange.
Also, das Motorrad auf den Mittelständer, Motor an, 1. Gang und das Öl
von oben drauflaufen lassen. Um den Boden der Garageneinfahrt nicht zu
versauen hatte ich Zeitung drunter gelegt. Jede Menge Öl landete auf
der Zeitung. Da kam mir eine Idee: Die Zeitung mit dem Öl von unten an
die Kette dranhalten und durchlaufen lassen. Ja, und dann... kam ein
dem Baby angeborener Reflex, der Greifreflex nämlich. Die Kette zog
das Papier mit, ich wollte es festhalten, griff fest zu und schwupps
zog die Kette die Finger ins Kettenrad. Mega-S... !!! Ich will die
Einzelheiten nicht beschreiben. Nur so weit: 4 Wochen Unfall-Klinik, 2
Operationen. Die Finger wurden recht gut wiederhergestellt und sind an
der rechten Hand zwar etwas kürzer als an der heilen linken, aber
wurden wieder voll funktionsfähig. Eine gute Nebenwirkung hatte das
Ganze. Damals hatte ich gerade Motivations-Probleme mit meinem
Theologie-Studium. Ich hätte dringend eine Besinnungspause gebraucht,
doch die konnte ich mir finanziell nicht leisten, und auch sonst
nicht, weil mein Vater mit diesem Studium nicht so recht glücklich war
und ich auf keinen Fall zugestehen wollte, daß er mit seinen Bedenken
vielleicht Recht gehabt haben könnte. Heute bin ich sicher: Das hat
mich unfallanfällig gemacht. Auf diese Weise habe ich mir unbewußt die
Pause geholt, die ich mir bewußt nicht zu nehmen getraut habe.

Der Irrtum:

Inzwischen studierte ich in Heidelberg und meine Freundin in Landau.
Bei einer Besuchsfahrt fiel mir das Angebot eines Kawasaki-Händlers
ins Auge, die neue 650er probezufahren. Ich hielt an und tatsächlich
war die Maschine wegen einer Absage für eine halbe Stunde frei. Noch
nie hatte ich auf einer modernen Vierzylinder-Maschine gesessen. Ich
begann ganz langsam. Aber schon Tempo 80 kam mir recht fix vor. Ich
schob's auf den ungewohnten Sound und das neue Feeling. Mit der Zeit
fand ich Zutrauen und wollte das Gerät mal kurz ausfahren. Bei ca. 120
begann der Horizont zu verschwimmen, mein CB250-gewohnter Helm samt
Kopf wackelten im Fahrtwind, ohne daß ich viel dran machen konnte.
Irgendwas stimmte da nicht, ich nahm Tacho hin oder her das Gas weg
und fuhr nur noch nach Gefühl zurück. Klar, da fiel's mir wie Schuppen
aus den Haaren, ich war gerade 120 Meilen, nicht Kilometer pro Stunde
gefahren !!!

Der Dampfhammer:

Auf einer großen Motorradaustellung in Paris begegnete ich dann meiner
großen Liebe, einer SR 500. Dampf von unten heraus, nix mehr
Drehzahlorgien und verhungern am Berg bei Gegenwind. Ich mußte
freilich noch eine ganze Zeit sparen und brauchte fremde Hilfe samt
Privat-Kredit, bis der Traum Wirklichkeit wurde. Umso schlimmer, daß
ich sie dann schon bald ins Grüne schickte. Einfach ein dummer
Ausrutscher mit miesen Reifen bei Nässe, bei dem weiter nichts
passierte. Das konnte ich mit ein paar schmerzhaften Hundertern für
Material und der Hilfe von Freunden selbst richten. Saublöd dann
freilich, als ich wieder mal in Zeitnot noch eben mal kurz Öl wechseln
wollte und das Entlüften samt nachfolgendem Auffüllen verschluderte.
Folge: Motorschaden wegen Ölmangel. Das war dann die erste wirklich
große "Operation" an die ich mich rantraute: Ich zerlegte mit meinem
Freund - dem damals wirklich rein theoretischen Physiker Willi - den
Motor, ließ den Zylinder ausschleifen und hohnen und vertraute den
Zusammenbau dann aber einer Werkstatt an.
Das hielt dann praktisch für ewig, bis ich sie in gereiftem Alter,
schon geradezu altersschwach für 'nen Klicker und 'nen Knopp
weiterverkaufte.
Dazwischen lagen die "ungestümen" Jahre. Ich drosch die SR vollbepackt
über Pisten in Korsika, durch ausgetrocknete Bachläufe, scheiterte
nach viel Schweiß an Alpenpässen des Schwierigkeitsgrades 6, lieferte
mir erfolgreich Rennen im Pfälzerwald mit Mercedessen  und
breitbereiften Kleinwagen der gerade-Abi-bestanden-Klasse. Ich
verwuchs fast mit der Maschine und entwickelte ein nahezu perfektes
Feeling für das, was geht und was nicht. Schließlich konnte ich sie
sogar mit der Hand anlassen, ob ihr's glaubt, oder nicht!!! Und das
auch im schwierigen halbwarmen Zustand. Einen so gut wie perfekten
Riecher für gefährliche Situationen erarbeitete ich mir. Ich erfuhr
wunderbare Landschaften in Irland. Halb Europa war nicht sicher vor
mir. Da könnte ich Stunden erzählen.

Die kapriziöse Italienerin:

Inzwischen verdiente ich mein erstes Geld und konnte mir eine
nagelneue 500er Morini in seltener Tourenausführung und noch
seltenerem Schwarz leisten. Vielleicht war sie nicht einmalig in
Deutschland, aber doch fast. Sie wurde frei Haus geliefert. 7.900 Mark
waren für mich sehr, sehr viel Geld. Und ich rechnete mit dem
Schönsten. Da stand sie, - und sprang nicht an. Was half da alle
Schönheit. Riesig hohe Verdichtung, schlecht übersetzter Kickstarter,
- da half nur Schieben, Schieben und nochmals Schieben. Als ich das
einigermaßen im Griff hatte und die ersten Kilometer erfolgreich
zurückgelegt hatte, war ich sauer. Sie lief auch nach der vorsichtigen
Einfahrzeit kaum mehr als 120. Der Händler beruhigte mich am Telefon:
Die braucht mindestens 5000 km, bis die so richtig frei wird. So war's
tatsächlich. Und als ich dann auch noch die Kinderkrankheiten von
wegen undichtem Öldruckgeber, Elektrik und nicht richtig trennender
Trocken-Kupplung ausgestanden hatte, wurde es eines der harmonischsten
Motorräder, das ich je gefahren bin. Sound, Fahrwerk, Motor,
Sitzposition, alles harmonierte auf eine ganz wunderbare Weise. Es
galt, eine Menge Geduld zu investieren, aber dann war die Belohnung
grandios. Das sie keine echten 40 PS auf die Rolle brachte, spielte
dabei überhaupt keine Rolle. Das Fahrvergnügen war unvergleichlich
rund. Wirklich ein Erlebnis.
Inzwischen war ich verheiratet und meine Frau moserte ständig an mir
rum, weil sie wohl den Einser hatte, aber dieses Teufelsding nicht
fahren konnte. Allein schon das Anlassen wollte nicht klappen. Ich
besorgte einen E-Starter. Der funktionierte freilich nur einigermaßen
zufriedenstellend, wenn die Morini warm war. Also: Wieder nichts. Und
weil das ständige Meckern meiner Gattin mich wirklich zur Verzweiflung
brachte, fuhr ich auch nicht mehr. Das Gerät stand 2 Jahre still, bis
ich sie verkaufen konnte. Da schadete ihr gewaltig. Die Dichtungen
waren mangels Belastung spröde geworden, rundrum war sie durchs Stehen
kränklich geworden. Das wußte ich freilich damals noch nicht, sonst
hätte ich sie viel billiger abgegeben. So bleibt mir nur das schlechte
Gewissen, daß der Käufer aus Freiburg jede Menge Ärger hatte mit
diesem im Herzen wunderbaren Stück Technik.
Mit der Morini hatte ich meinen dritten ernstzunehmenden Unfall, aus
dem ich Einiges gelernt habe. Ich fuhr im Odenwald hinter zwei bikes
her. Die 500er Honda vorne sprühte Funken, während ich noch jede Menge
Bodenfreiheit hatte. Dann übernahm die zweite, zunächst undefinierte
Maschine die Führung. Ich wollte hinterher. Mit 3. Gang Vollgas ging
ich mit knapp 140 in eine Kurve, die für meine Maschine höchstens 80
bei optimaler Fahrweise vertragen hätte. Die Morini hatte keine
klappbaren Fußrasten. Ich schrammte ein paarmal mit den Rasten. Dann
mußte ich mich schnell entscheiden: Entweder schräg in ein
Beton-Wasser-Auffangbecken mit schlimmen Folgen, oder ---? Ich
entschied mich für einen Ausflug in die Böschung. Etwa 10 Meter
schaffte ich auf dem weichen Boden, denn rutschte ich weg, überschlug
mich schätzungsweise 7 mal. Es blitzte immer wieder im Kopf. Dann war
die Welt weg. Wahrscheinlich nur ganz kurz. Der Tastsinn kam zuerst
wieder. Ich konnte alles bewegen, nirgendwo fühlte es sich warm an
(von wegen Blut). Dann das Gehör: Da vorne brummt noch das Motorrad
vor sich hin. Aber wo ist "da vorne"? Dann funktionierten auch die
Augen wieder und ich konnte hinkriechen und die Morini irgendwie
abstellen. Nicht auf normalem Weg, denn nichts war mehr an der
gewohnten Stelle. Der nachfolgende Honda-Fahrer brachte mich in die
nächste Kneipe, von wo ich zu Hause anrief: "Du, ich habe ein kleines
Problem. Der Uli hat doch einen Variant, gell, der müßte mich abholen,
die Morini läuft momentan nicht mehr." Wie durch ein Wunder war mir
überhaupt gar nichts passiert. Mein affig schwerer Bell-Jet-Helm hatte
tiefe Schrammen und alles abgehalten. Gut 1200 Mark mußte ich an
Teilen investieren, dann war sie wie neu. Ach ja, das Power-Bike, dem
ich nicht folgen konnte, war ein getunte, für Zuverlässigkeitsrennen
zurechtgebaute Kawa, - keine Chance.
Seitdem liefere ich mir keine Rennen mehr. Ich hätte tot sein können.
Ich fahre mein Tempo, manchmal gerne auch fix, wenn alles
zusammenpaßt. Aber sowie da ein Fahrzeug ist, das in etwa meine
Geschwindigkeit hat, mache ich langsam, laß ihn wegfahren oder fahre
eine andere Route. Ich habe fortan immer ganz alleine bestimmt, wie
schnell oder wie langsam ich fahren will und mich nicht mehr von
anderen beeinflussen lassen. Ich glaube, das war maßgeblich dafür, daß
ich seitdem auf vielen, vielen Kilometern jede Menge Fahrspaß, aber
keine ernstzunehmenden, selbstverschuldete Unfälle mehr hatte.

Die erste, die ging:

Das nächste Motorrad sollte in gleichen Teilen meiner Frau und mir
zugute kommen, eine Kawasaki ZL 600, auch wieder Schwarz. Niedrige
Sitzposition, gewaltig Dampf, aber bei niedrigen Drehzahlen vollkommen
anfängerfreundlich und unproblematisch zu beherrschen. Ich habe das
Gerät manchmal auf unter 4 Liter pro 100 Kilometer oder aber auch auf
über 220 Tacho auf der Autobahn bekommen. Meine nörgelnde Frau
freilich ist sie insgesamt vielleicht 300 km selbst gefahren. Da hatte
ich dann die Schnauze voll und habe sie protestweise wieder verkauft
(normaler Ehekrieg nach der Art: siehst Du, Du nimmst mir auch den
letzten Spaß). Was habe ich mich schon geärgert darüber. Sie läuft
noch heute in einem Motorradverleih mit 34 PS. Eine Schande.

Eheberater Virago:

Um die kriselnde Ehe zu retten und meine Frau vielleicht doch noch
gnädig zu stimmen, zog ich eine neue Virago 550 an Land. Ich fand sie
ganz schnuckelig, Motor und Kardan okay und die Frau mußte doch damit
zurechtkommen. "Hätte sie auch getätet" wenn das unser eigentliches
Problem gewesen wäre. War es aber nicht. Und die Virago: Die relativ
lange Gabel und der komische Hirschgeweih-Lenker machten jedes
Anbremsen einer Kurve zu einer unsicheren, wackligen Angelegenheit.
Die Sitzposition samt mäßiger Federung bei dem Chopper reichte
grundehrlich den Straßenzustandsbericht an die Wirbelsäule weiter. Nö,
auf Dauer fand ich das Teil ungesund und gefährlich. Also weg damit an
einen, der auf Optik mehr Wert legt als auf seine Gesundheit oder
Alltagstauglichkeit. Ich jedenfalls brauche als Vielfahrer einen
vernünftigen Arbeitsplatz.

Darf's etwas mehr sein?:

Inzwischen war die Ehe so gut wie am Ende und ich fand ein wenig zu
mir selbst zurück. Die Folge war eine ZL 1000, die große Schwester der
ZL 600. Dieses Motorrad ist eine Legende. Ich fuhr sie offen. Das
bedeutete, dritter Gang mit Sozius beim Überholen eines Lastwagens:
Laß ich den überbreiten Hinterradreifen durchdrehen oder die Maschine
vorne aufsteigen, oder finde ich den richtigen Dreh? Vernünftig
gefahren konnte sie riesig Spaß machen. Es ließ sich mit ihr bestens
auch bummeln, selbst zu zweit und auf großer Fahrt. Nur, die
Autobahnunterführung, in der ich mit der ZL 600 so gerne
durchbeschleunigt hatte, weil das Echo von den Wänden an das flair
eines Formel 1 - Rennens erinnerte, die war langweilig geworden. Mit
der ZL 1000 war ich zack drunter durch und hatte nichts gehört. Dann
soff das Teil wie ein Weltmeister. Einmal hatte ich 16 Liter auf einer
schnellen Autobahntour durchgeblasen. Nach spätestens 80 Kilometern,
kaum 20 Minuten galt's, die nächste Tankstelle zu suchen. Und dann:
Aus irgendeinem Grund, den ich nie herausgefunden habe, war es mein
erstes und letztes Motorrad, das bestialisch stank! Nach einer Fahrt
konnte ich sie unmöglich in die Garage stellen, das ganze Haus miefte
dann unangenehm. Ein angestrengter Motor darf knacken und knistern,
darf Hitze ausstrahlen und duftet dann noch auf seine spezifische
Weise nach Hochleistungstechnik. Die Kawa stank wie eine Mischung aus
alter, zermatschter Maus und verfaultem Wasser. Brrrhhh. Die immense
Leistung der Kawa konnte bei Nässe richtig unangenehm sein. Ich mußte
immer wachsam und überlegt fahren, das bedeutete viel mehr Streß, als
ich es von allen anderen Motorrädern vorher gewohnt war. Deshalb habe
ich sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge als
Noch-Nicht-Sammlerstück wieder verkauft. Hätte ich ein paar Jahre
gewartet und auch das Motorrad in dieser Zeit sachgemäß gewartet wäre
sie heute schon Einiges mehr wert.

Vernunft siegt:

Ehe kaputt, neue Partnerschaft, neue Arbeitsstelle, neue Wohnung,
Motorradabstinenz. Ganz viel war passiert. Alles neu macht der Mai.
Hier war's aber der Januar. Zusammen mit Rita machte ich mich auf die
Suche: Kardan gerne, gut sitzen, zuverlässig, ausreichend Leistung.
Ich wollte es nicht glauben, muß es denn wirklich sein? Eine BMW?! Ich
glaube, es war 10 Grad unter Null, als ich die natürlich schwarze
R100R abholte und Rita das erste mal in ihrem Leben auf einem Motorrad
saß. Sie hat sofort Feuer gefangen, ich meine Rita. Im ersten Jahr
fuhren wir zusammen 33.000 km! Selbst bei 17 Grad unter Null waren wir
durch Schnee und Eis unterwegs. Nach drei Jahren sind wir bei 62.000
km.
Freilich, in die Werkstätte geh ich mit der BMW nicht. Da kann man
noch alles selbst machen. Selbst während der Garantiezeit habe ich
Werkstätten nach den ersten Erfahrungen gemieden: Sachen nicht
festgeschraubt, Vergaser falsch synchronisiert, Leerlauf auf 2000
u/min und ähnliches haben mich an einen alten Vorsatz erinnert.
Nur, daß ein Monat nach der Garantiezeit der Kabelbaum abbrannte fand
ich gar nicht nett. Auch Kulanz wäre nur bis 25.000 km drin gewesen.
Und daß der Stoßdämpfer hinten so lasch bei jeder Gelegenheit
durchschlug. Und. Und. Und. Jetzt aber ist mit einigem Aufwand auch
aus einer BMW ein richtig gut fahrbares Mopped geworden. Aber
Vorsicht: Nix von wegen deutscher Wertarbeit und perfektem Service.
Wirklich, zum Glück, die Technik ist überschaubar. Selbst ist der
Mann. Jetzt wollen wir sie nicht mehr hergeben. Entschieden.
Für den Winter eignet die R100R wegen der empfindlichen Alu-Felgen
allerdings nur bedingt. Deshalb:

Die Kleine für zwischendurch:

Ja, deshalb habe ich mir für Sauwetter und Winter eine alte Moto Guzzi
Monza zugelegt. Es war viel zu tun an dem Teil. Das defekte
Lenkkopflager habe ich erst nach dem Kauf festgestellt. Aber jetzt
schnurrt sie wunderbar sparsam und absolut zuverlässig. Selbst vom
Glatteis überrascht bin ich problemlos nach Hause gekommen.
Zwischendurch biete ich sie immer mal zum Verkauf an, weil: Drei
Motorräder halte ich für zu viel und die Garage wird mir zu eng. Drei?
Jo, weil ein Hobby muß der Mensch doch haben.

Mein Hobby oder weil man sich sonst nichts gönnt:

Das Finanzamt hatte ein Einsehen und mir kräftig Steuern rückerstattet
und schon ging ich auf die Suche. Fündig wurde ich bei einer Kawasaki
ZRX 1100. Jetzt ist das ein relativ aktuelles Teil und ich will nicht
in den Ruf kommen, Schleichwerbung zu betreiben. Ich bin wirklich
nicht verwandt oder verschwägert mit meinem Kawa-Händler, aber das
Teil ist toll.
Die Bremsen sind das Sicherste, was ich bislang kannte. Der Motor
zieht. Es fehlt ihm für meinen Geschmack ein bißchen bis zur
Perfektion der ZL 1000, aber die hatte ja andere Nachteile. Nur einen
Tick mehr Biß für's "Grobe" würde ich mir in seltenen Momenten
wünschen, aber nicht immer, und wirklich: Im Grunde reichen die 98 PS
absolut für alles. Mit leicht zu tätigender Feinabstimmung des
Fahrwerks für unsere Ansprüche bleibt das Vorderrad beim vollen
Beschleunigen jetzt in beherrschbarer Bodennähe und der Bridgestone
klebt so satt, da dreht ohne Tricks nichts durch. So sauber und sicher
lag noch keine meiner Maschinen in der Kurve. Und selbst Urlaub zu
zweit mit allem drum und dran (Zelt, Schlafsäcke, Kocher usw.), - kein
Problem. 1000 km am Stück? Rita hat noch nicht gemeckert.
Für die Kette habe ich mir einen Scott-Kettenöler angebaut, feine
Sache. Für's Gepäck Becker Junior. Einen Sturzbügel für den Fall des
Falles. 
Es ist mein erstes Motorrad, bei der der Hinterradreifen zuerst an den
Flanken schlapp gemacht hat, ich wollte es selbst nicht glauben. Und
ich habe quasi "gar nichts davon gemerkt", so sicher fühlt sich die
Kawa an.

Nebenbei:

Zum Thema Spitzenleistung: Nicht wenige Leutchen gieren nach immer
noch einem PSchen mehr. Und eine Maschine, die mehr hat, verkauft sich
besser. Nur: Performance kommt nicht allein durch PS. Es könnte z.B.
leicht sein, daß eine flinke, gut ausbalanzierte, leichte Maschine mit
knapp 50 PS meiner ZRX auf der entsprechenden Strecke mit Leichtigkeit
davonfährt. Ich habe mal einen Test gemacht und habe versucht mit der
R100R eine bestimmte, kurvenreiche Strecke optimal zu fahren. Ich bin
auf ein Mittel von 87.9 km/h gekommen. Zwischendurch waren das auch
mal über 160 km/h Spitze. Ganz normales, entspanntes Fahren führte zu
einem Mittel von 67 km/h. Nach einem Monat ZRX-Erfahrung meinte ich,
mit der Kawa auf derselben Strecke wirklich flott unterwegs zu sein.
Spitze teilweise über 200 km/h. Unterm Strich waren's aber nur 85,2
km/h im Durchschnitt. Das ist, weil halt alles stimmen muß.
Mordsbeschleunigen kann nach Mordsbremsaktionen verlangen und macht
den Fahrstil unrund.
Deshalb halte ich es für besser, nicht nur nach PS-Angaben und
irgendwelchen Tests zu kaufen. Nach den eigenen Bedürfnissen wäre gut.
Das Gesamt-Gefühl muß stimmen. Das Motorrad muß zu einem passen.

Zum Thema Ergonomie: Ich probiere immer aus, wie ich mich drauf fühle,
bevor ich mich für ein Motorrad entscheide. Viel Stadtverkehr: Für
mich wäre es z.B. Schwachsinn, mit einem Supersportler die Handgelenke
so zu belasten, oder nur über 5000 U/min sinnvoll anfahren zu können,
oder wegen des weiten Wendekreises kaum vernünftig durchzukommen, wie
es mir bei einem Regentreff unter einer Autobahnbrücke mal  ein
"Rennfahrer" eingestand. Für mich muß ein Motorrad möglichst alles
können. Und nach vielen Stunden Langstrecke will ich nicht halbtot vom
bike fallen.

Zum Thema Kleidung: Handschuhe, Helm, feste Kleidung (meist Leder)
sind für mich kein Thema mehr. Muß sein.
Beheizte Handschuhe sind im Winter toll. Wenn's an einer Stelle warm
ist, hilft das dem ganzen Körper.
Penner sind gebildete Leute. Die Vertrauen im Winter auf die Zeitung.
Ich stopfe mir die Kombi auch damit voll, wenn's knackig kalt ist.
Beheizte Griffe dagegen finde ich blöd. Von innen kommt Wärme, von
außen Kälte. Und wo das zusammentrifft, kann's ganz schön weh tun. 
Protektoren machen mir keinen Spaß, weil ich mich unbeweglich wie ein
Mistkäfer drin fühle und ich einen Bekannten hatte, dem nützten die
besten Protektoren nichts. Wohl aber nützte mir schon meine
Beweglichkeit ohne diese Teile.
"Textiljacken": Ich habe wohl eine hochwertige Dainese-GoreTex-Jacke,
mag sie aber nur mittelmäßig. Sie sitzt gut, nur: Wenn es wirklich
regnet, dann saugt sich trotz zusätzlicher Imprägnierung das
Außenmaterial voll. Ich bleibe zwar wegen der Membran trocken, aber
die Jacke wird sauschwer und trocknet langsam, ergibt  weiße
Wasserflecke. Lieber vertraue ich bei richtigem Sauwetter nach wie vor
dem guten alten Wachscotton (Krawehl, Barbour, Belstaff). Ein bißchen
mehr Geld ausgeben lohnt sich dabei auf Dauer nach meiner Erfahrung.
Billig-Nachbauten scheuern schnell durch und sind manchmal schon im
Neuzustand undicht.
Bei den Regen-Hosen bin ich bei einer außenlaminierten Bullson-Hose
gelandet. Hält wirklich dicht und saugt sich nicht voll. Gegen's
Rutschen habe ich einen Tank-Pad auf die Sitzbank geklebt. Und wenn's
heiß wird, hat sie an den Seiten neckische Lüftungsreißverschlüsse.

Gepäck: Ich habe viel ausprobiert, Lederpacktaschen, alte
Munitionskisten, Eigenbauten und bin nun seit Jahren auf Hepco-Becker
eingeschworen. Die halten sogar bei einem Ausrutscher viel ab, sind
dicht und beim Zelten hat man einen Sitzplatz dabei.

Meine Träume?:
Die R100R mit Beiwagen. 
Und daß ich weiterhin so viel erleben darf mit diesem wunderbaren
Fortbewegungsmittel namens Motorrad. Wenn's geht nochmal 27 Jahre,
wenn der Chef es will. Eigentlich müßte man sein Motorrad auf
Krankenschein erhalten, weil: Mich hat's bislang fit und gesund
gehalten, innen wie außen, - will ich mal meinen.

Soll mal reichen. Jörn.