Dirk Straka wrote:
> P.S.: Ich hoffe, dass wirklich bald was zu dem Thema in die FAQ kommt.
> BTW: Hoss, Du koenntest ja noch eine Kleinigkeit zum Finden der
> optimalen Druck- und Zugstufe und ueber Erkennungsmerkmale zu
> weichen oder zu harten Settlings erzaehlen ... da hab' ich jetzt,
> aehem, keine Lus^h^h^hZeit mehr zu ... ;-))
Danke für die Blumen. Deine Ausführungen betreffend Funktion der Feder-
und Dämpfungselemente sind sehr gut, habe gestaunt wie plausibel man
dieses wirklich schwierige Thema erklären kann. Ich bin nicht gerade DER
Fahrwerksspezialist, gebe aber gerne meinen Send dazu.
Generell möchte ich zu Deinem Posting vorerst ergänzen, daß "unten"
tastsächlich die Federbasis bedeutet, am "lebenden Objekt" aber sehr
wohl "oben" am Federbein sein kann (z.B. Ducati Monster), kommt halt auf
die Umlenkung an.
Ein häufiges Problem beim richtigen Einstellen des Fahrwerks ist, daß
man oft gar nicht weiß, was man wo verstellt. Auch geben einem meist nur
die feinsten Sportbikes die Möglichkeit vorne und hinten Federbasis,
Zugstufe und Druckstufe zu verändern. Also verzagt nicht, falls es an
Eurem Bike keine Verstellmöglichkeit gibt, es ist halt so.
Wo verstelle ich also was?
- Bei allen Motorrädern kann man hinten die Federbasis verstellen, bei
manchen auch an der Gabel (große Sechskantschrauben oben am Gabelende).
- Wenn man an einer Stelle mit einem Schraubenzieher noch was verstellen
kann, dann ist dies die Zugstufe. Am Federbein gibt es entweder an der
Basis eine Schlitzschraube, manchmal auch eine Sechskantschraube (VFR).
Bei Gabeln ist dies in der Regel oben in den Sechskantschrauben
eingelassen.
- Kann man sogar noch was drittes verstellen, so handelt es sich hierbei
um die Druckstufe. Beim Federbein ist das ebenfalls eine Schlitzschraube
oder ein Handrad am Ausgleichsbehälter. Bei Gabeln ist das eine
Schlitzschraube unten am hinteren Gabelende (ober der Auslaßschraube).
Nochetwas Vorweg: Fahrwerkseinstellungen sind nicht pauschal zu
erklären, viel zu viel hängt vom individuellen Fahrstil ab, ich möchte
nur ein paar Tips geben.
Wofür braucht man also diese Dämpfungen?
- Zugstufe: Wie der Name schon sagt, bestimmt diese Dämpfung, wie
schnell die Federung ausfährt, also wie schnell der Negativfederweg
genutz wird. Eine weiche (niedrige) Zugstufe bedeutet, schnelles
Ausfedern (Schlaglöcher), mit allerdings relativ wenig dämpfender
Wirkung. Zu viel Zugstufendämpfung verhindert ein effizientes "Bügeln
von Löchern", zu wenig läßt die Feder "springen".
- Druckstufe: Logischerweise das Gegenteil. Unterstützt die Feder beim
Zusammendrücken. Zu hohe Druckstufe läßt das Fahrwerk bei schnellen oder
starken Stößen ("Hubbeln", Bremsen) auf Block gehen, zu wenig kann es
durchschlagen lassen.
Gabeln verfügen meist nur über eine Federbasisverstellung. Die Dämpfung
in beide Richtungen kann erhöht oder verringert werden in dem man ein Öl
mit einer anderen Viskosität (SAE 5-15) verwendet.
Wie Stelle ich die Dämpfung grundsätzlich richtig ein?
Zum Einstellen nimmt man am besten einen Freund zur Seite, der das
Motorrad locker am Lenker (oder an der Frontverkleidung) aufrecht hält.
Es darf nicht auf irgendeinem Ständer stehen und muß waagrecht stehen.
Die Federeinstellung laut Dirk sollte schon erledigt sein.
Dann drückt man das Motorrad am hinteren Tankende mit dem Handballen in
die Federn.
Geht es gleichmäßig vorne und hinten hinunter? Wenn nicht, dann muß man
die Druckstufen ändern, was meist vorne nicht möglich ist.
Wenn man hinten die Druckstufe verändern kann, hat man Glück und paßt
sie der Front an. Wenn nicht, läßt man die Sache bleiben, kauft sich ein
teures Federbein oder füllt ein anderes Gabelöl ein. ;-)
Als nächstes macht man wieder den "Hineindrücktest" und schaut wie
schnell die Kiste aus den Federn kommt. Gleich schnell? Nein? Ran an die
Zugstufen!!!
Wie findet man das perfekte Setup? (gilt nur für Motorräder mit
ausreichenden Einstellmöglichkeiten)
Wenn man dieses "Grundsetup" gefunden hat, macht man ausgiebige
Probefahrten in seinem Heimatrevier mit hartem Bremsen, hartem
Herausbeschleunigen, das Fahrwerk einfach richtig fordern.
Merkt man, daß es zu weich ist (hinten beim aus der Kurve beschleunigen
nachschwingt, beim Bremsen vorne durchschlägt oder hinten leicht wird
und rührt) muß man es vorne UND hinten nach dem Prinzip des Grundsetups
härter stellen.
Merkt man, daß es zu hart ist (hinten beim Beschleunigen wegschmiert,
beim Bremsen vorne auf Block geht oder stempelt), muß das Fahrwerk als
ganzes weicher gestellt werden.
Merke: Wenn das Grundsetup stimmt, kann ein Fahrwerk nur generell zu
hart oder zu weich sein (z.B. nicht vorne zu weich, hinten zu hart).
Individuelle Vorlieben der Fahrer können allerdings sehr wohl zu
weicheren oder härteren Abstimmungen vorne oder hinten führen. Der
"König auf der Bremse" wird wahrscheinlich eine härtere Frontabstimmung
bevorzugen, der "Driftmaster" liebt das harte Heck.
Lesen des Reifenbildes (Rennstrecke)
Sehr viel über sein Fahrwerk erfährt man auf der Rennstrecke an der
Gummischuppung der Reifen, der Reifen muß nämlich die endgültige
Dämpfungsarbeit erledigen!
Angenommen, alles rund um die Reifen stimmt (guter Sportreifen,
Asphalttemperatur warm, Luftdruck 2,0-2,2 bar), so kann man an der
Schuppung folgendes ablesen:
- samtige, kleine, gleichmäßige Gummikrümmel: Perfekt!
- rauhe Schuppen parallel zur Fahrtrichtung, große Gummistücke am
Reifenrand: Fahrwerk zu hart, Reifen muß viel eigene Dämpfungsarbeit
verrichten, nicht optimale Haftung
- rauhe Schuppen quer (90 Grad) zur Fahrtrichtung: Fahrwerk zu weich,
Reifen wird durch "wabelndes" Fahrwerk ebenfalls stark belastet, guter
Grip aber Überhitzungsgefahr
Geometrieveränderungen.
Manchmal, wenn das eigenen Können das Fahrwerk an seine Grenzen zwingt,
ist es sinnvoll die Fahrwerksgeometrie zu verändern.
Hierzu kann man Front oder Heck anheben oder absenken um beispielsweise
mehr Bodenfreiheit zu gewinnen, das Gewicht vorne/hinten zu verlagern
oder einen anderen Gabelwinkel zu bekommen.
An der Gabel kann man relativ einfach die Gabelholme einige mm bis cm in
den Gabelbrücken hinauf- oder hinunterfahren.
Am Federbein braucht man entweder ein Nobelprodukt, das eine
Höhenverstellung erlaubt oder man läßt sich Adapter anfertigen, mit
denen man das Heck leicht anhebt.
In der Regel werden konservative Serienfahrwerke agiler gemacht, also
hinten angehoben (bringt vor allem auch Bodenfreiheit in Schräglage)
und/oder vorne abgesenkt. Das bringt unruhigeren Geradeauslauf, aber
wesentlich mehr Kontrolle über das Vorderrad, mehr Agilität und
verlagert das Gewicht nach vorne.
Ich habe z.B. bei meiner CBR das Öhlinsfederbein maximal ausgefahren,
was das Heck um 4cm anhebt. Die Gabel ist in Originalstellung.
Harry wiederum fährt auf der TRX ein Extremsetup: Er mag den breiten,
hohen Superbikelenker, weil er damit mehr Kontrolle und mehr Hebel hat,
wie auf einer Enduro. Man kann damit einfach besser in engen Kurven
drücken oder Rutscher korrigieren. Den Verlust an Vorderradgefühl und
Belastung der Front kompensiert er mit einer um 6 (!) cm in den
Gabelbrücken hinutergefahrene Front.
Hoss
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* Hoss (rrr#33) Vienna, Austria *
* '92 Honda CBR 600F2 & '94 KTM 620 LC 4 Six Days *
* http://www.rrr.net/hoss Power is Macintosh 1997-02-12 *