From: Ralf Kuehl, 100550.365@compuserve.com
Subject: MuZ wie geht es weiter
Date: Thu, 05 Sep 1996 09:18:02 GMT
Organization: Bundesverband der Motorradfahrer e.V.

Hallo alle in d.r.m.

aus der Motorrad Insider Mailbox habe ich gestern die folgende
Stellungnahme des RA Kuebler zur weiteren Entwicklung der
Gesamtvollstreckung bei MuZ erhalten. Vielleicht interessiert es den
einen oder anderen.

(Motorrad Insider ist eine Branchen Informations Zeitung fuer Motorrad
Haendler, Industrie und Forschung in Deutschland, fuer weitere
Informationen zum Motorrad Insider wendet Euch an:
Immo Dubies, motorrad-insider@magnet.at)

MIM-News 04. September 1996

MuZ lebt weiter!!!

Presseerklaerung von RA Dr. Bruno M. Kuebler als Verwalter der
Gesamtvollstreckung der MuZ Motorrad- und Zweiradwerke GmbH:
"Nach mehrwoechigen Verhandlungen mit der malaysischen
Hong-Leong-Gruppe konnte am 29. August 1996 ein umfangreiches
Vertragswerk notariell beurkundet werden, nach dessen Inhalt die
Hong-Leong-Gruppe vom Verwalter der seit dem 12. Juli 1996 in
Gesamtvollstreckung befindlichen MuZ Motorrad- und Zweiradwerk GmbH,
Zschopau, wesentliche Teile des Geschaeftsbetriebs uebernommen hat.
Die Wirksamkeit des Vertrages hing noch von einer Reihe von
fristgebundenen Voraussetzungen ab, namentlich der Zustimmung
gesicherter Glaeubiger, bei deren Nichtvorliegen den Parteien ein
Ruecktrittsrecht zugestanden haette. Da die Voraussetzungen
rechtzeitig erfuellt wurden, entfiel fuer beide Vertragsparteien das
Ruecktrittsrecht. Das Vertragswerk ist daher seit heute (03. September
1996) 0.00 Uhr in Kraft. Nach Durchfuehrung einer Betriebsversammlung
hat die Uebergabe des Geschaeftsbetriebs heute gegen Mittag
stattgefunden. Bereits vor Einleitung der Insolvenz hatte die
Hong-Leong-Gruppe Interesse an MuZ bekundet. Ein bereits paraphierter
Vertrag war jedoch nicht zur Unterschrift gelangt. Grund hierfuer war,
dass im Rahmen des zunaechst geplanten "share-deal" Hong Leong
saemtliche Verbindlichkeiten des Unternehmens erworben haette. Nicht
alle Alt-Glaeubiger waren seinerzeit zum Verzicht bereit. Hong Leong
wandte sich daher wieder von Zschopau ab. Der Geschaeftsleitung blieb
nur der Weg zum Konkursrichter. Nach meiner Einschaetzung als
Sequester kam es mir darauf an, fruehestmoeglich auszuloten, ob Hong
Leong unter den geaenderten Praemissen - Kauf von einzelnen, aber
wesentlichen Vermoegensgegenstaenden aus der Gesamtvollstreckung
heraus, das heisst ohne Schuldenuebernahme, sog. "asset deal" - erneut
als Interessent gewonnen werden konnte. Weitere Investoren, die zu
einer auch nur annaehernd ebenso umfassenden Uebernahme bereit gewesen
waeren, waren nicht in Sicht.
Bei meinem ersten Treffen mit der Hong-Leong-Gruppe in Singapur am
Wochenende des 20./21. Juli 1996 machte die Hong-Leong-Gruppe
deutlich, dass sie nach wie vor Interesse am Standort Zschopau habe
und auch dort eine Produktion wiederaufbauen wolle; Voraussetzung sei
jedoch, dass nach den bereits monatelangen Verhandlungen im Vorfeld
nunmehr spaetestens bis Ende August 1996 ein Vertrag zur
Unterzeichnung gelange. Ich bekundete den Hong-Leong-Vertretern, dass
auch mir an einem raschen Abschluss gelegen sei, um vor allem fuer die
Mitarbeiter die lange Periode der Ungewissheit zu Ende zu bringen. Da
aber zahlreiche weitere Instanzen mit dem Vertragswerk zu befassen
seien und ihre Zustimmungs- bzw. Freigabeerklaerung abgeben
muessten, sei es gut, wenn ich aus Singapur bereits mit einem
konkreten Verhandlungsergebnis zurueckkehren koenne. Den
Verhandlungspartnern von Hong Leong leuchtete dies ein. Es begannen
dann mehrstuendige Verhandlungen, die bereits wichtige konkrete
Ergebnisse hatten, namentlich a) einen (gegenueber den bisherigen
Verhandlungen erheblich optimierten) Kaufpreis,
b) das Volumen der verbindlich zugesagten Investitionen und 
c) eine konkrete Arbeitsplatzgarantie. 
Diese Ergebnisse wurden in einem "letter of intent" niedergelegt.
Nach meiner Rueckkehr aus Singapur begannen dann die Detailbemuehungen
um einen erfolgreichen Abschluss. Obwohl Loehne und Gehaelter der
Mitarbeiter bereits fast drei Monate rueckstaendig waren, konnte mit
etwa 70 Mitarbeitern der Geschaeftsbetrieb aufrechterhalten und
insbesondere die Ersatzteilversorgung sichergestellt werden. Es
gelang, eine Bank zu finden, die zwei rueckstaendige Monatsbezuege der
Mitarbeiter im Vorgriff auf das Konkursausfallgeld vorfinanziert hat,
so dass den Mitarbeitern die groessten Liquiditaetssorgen genommen
werden konnten.
In der Oeffentlichkeit konnte verdeutlicht werden, dass eine gute
Chance fuer die Fortfuehrung besteht. Ein Grossteil der Kunden,
insbesondere die wichtigsten Haendler, teilten mit, dass sie weiter zu
MuZ halten wuerden.
Auch die Lieferanten, von denen Teile benoetigt wurden, zeigten sich
zur Lieferung gegen Zahlungszusage des Sequesters bereit.
Das gesamte Vermoegen von MuZ war zugunsten von Banken- und
Sicherungsglaeubigern belastet. Eine "freie Masse" war nicht erkennbar

Normalerweise haette das Verfahren mangels Masse gar nicht zur
Eroeffnung gebracht werden koennen. Dies haette fuer den Uebernehmer
jedoch bedeutet, dass er sich unkalkulierbaren Haftungsanspruechen von
Glaeubigern ausgesetzt gesehen haette. Nur bei einem Verkauf aus dem
eroeffneten Gesamtvollstreckungsverfahren heraus kommen eine Reihe von
Haftungsvorschriften bzw. Uebernahmeverpflichtungen nicht zum Zuge (so
zum Beispiel * 419 BGB, * 613a BGB, * 25 HGB, * 75 AO). Es galt daher,
mit saemtlichen Sicherungsglaeubigern Gespraeche zu fuehren, um diese
zu einer teilweisen Freigabe ihrer Sicherheiten zu bewegen, damit
ausreichend Masse fuer eine Durchfuehrung des Verfahrens vorhanden war
und namentlich die rueckstaendigen Arbeitnehmeransprueche und ein noch
auszuhandelnder Sozialplan bedient werden konnten. Parallel hierzu
wurden die Verhandlungen mit Vertretern der Hong-Leong-Gruppe
ueber Einzelheiten des auszuhandelnden Vertragswerks fortgesetzt. Die
zur Verfuegung stehende Zeit - der Zeitpunkt Ende August wurde von
Hong Leong, aber auch vom Gesamtvollstreckungsgericht und dem
Unterzeichner als letzter moeglicher Zeitpunkt fuer einen
Vertragsabschluss angesehen - wurde vollumfaenglich benoetigt und
ausgeschoepft. Mit Hong Leong gab es zum Teil schwierige
Verhandlungsphasen, die ihren Grund vor allem in dem von der
amerikanischen Praxis der Vertragsgestaltung begruendeten Rechtsdenken
der malaysischen Verhandlungspartner hatten. Trotz einiger
Unnachgiebigkeiten in Einzelpunkten war Hong Leong aber stets ein
fairer Verhandlungspartner.
Insbesondere wurde der in der Fruehphase der Verhandlungen in Singapur
ausgehandelte Kaufpreis zu keinem Zeitpunkt mehr in Zweifel gezogen.
Auch die beteiligten Grundpfandglaeubiger uns sonstigen
Sicherungsglaeubiger (Sicherungseigentum zugunsten von Banken war am
gesamten beweglichen Anlagevermoegen und am Umlaufvermoegen bestellt
worden) zeigten Verstaendnis, dass sie ihre Sicherungsrechte nur bis
zur Hoehe des Zerschlagungswertes beanspruchen konnten, da im Falle
des Scheiterns aus dem gesamten Vermoegen kein hoeherer Wert zu
erzielen gewesen waere. Nach allgemeiner Einschaetzung
waere das Fabrikationsgelaende in Zschopau-Hohndorf bei
Nichtzustandekommen der Vereinbarung zur Investitionsruine verkommen.
Die zum Teil erheblich ueber dem Zerschlagungswert liegenden formalen
Sicherungspositionen mussten daher aufgegeben werden. Hierzu waren
alle Beteiligten nach Kenntnisnahme des Uebernahmekonzepts und nach
Ueberzeugungsarbeit des Sequesters bereit. Kein beteiligter
Sicherungsglaeubiger hat seine Formalposition unangemessen
ausgeschoepft. Die Parteien haben vereinbart, ueber die Hoehe des
Kaufpreises Stillschweigen zu bewahren.
Nachdem sich am 28. August 1996 in der letzten Verhandlungsrunde
konkret abzeichnete, dass ein Vertragsabschluss kurzfristig erfolgen
koennte, konnte ich dem Gesamtvollstreckungsgericht meinen Bericht und
mein Gutachten ueber die Vermoegenssituation ueberreichen. Das Gericht
hat sodann umgehend das Gesamtvollstreckungsverfahren eroeffnet. Dies
war unverzichtbare Voraussetzung fuer die Uebernahme.
Die Hong-Leong-Gruppe hat das gesamte Grundvermoegen der MuZ,
saemtliches immaterielles Anlagevermoegen (Know-how etc.), den
Maschinenpark, saemtliche technischen Anlagen, die Betriebs- und
Geschaeftsausstattung und die gesamten Vorraete uebernommen. Im
Ergebnis wurde mit Ausnahme der Aussenstaende saemtliches Vermoegen an
eine neue deutsche Tochtergesellschaft der Hong-Leong-Gruppe
uebertragen. Dieser Gesellschaft wurden auch das Recht zur
Uebernahme der Firmierung (MuZ Motorrad- und Zweiradwerke GmbH)
ueberlassen. Der Verwalter wird mit der Gemeinschuldnerfirma, soweit
er mit Glaeubigern und Schuldnern noch korrespondieren muss, ab sofort
unter der Firma "Abwicklungsgesellschaft MuZ in Gesamtvollstreckung
mbH" auftreten. Die Kaeuferin hat sich verpflichtet, zunaechst 70
Arbeitsplaetze zu garantieren und Investitionen in Hoehe von 18
Millionen Mark vorzunehmen. Hierdurch ist gewaehrleistet, dass der
Produktionsstandort Zschopau langfristig erhalten bleibt. Nach meiner
Ueberzeugung wird die Hong-Leong-Gruppe alles daransetzen, um mit
Hilfe des Produktionsstandortes Zschopau auf dem europaeischen und
amerikanischen Markt mit Motorraedern der hoeheren Hubraum-Klassen
Fuss zu fassen. Weiterhin wird Zschopau auch laufend
Entwicklungsauftraege fuer den asiatischen Markt erhalten.
Schliesslich soll MuZ zum europaeischen Vertriebszentrum fuer diverse
asiatische Produkte der Hong-Leong-Gruppe werden. 
Abschliessend moechte ich als generelle Erkenntnis des MuZ-Falles
festhalten:
Wieder einmal hat sich gezeigt, dass das Instrument der
Gesamtvollstreckung, wenn es richtig eingesetzt wird, zur Sanierung,
namentlich zur sogenannten uebertragenden Sanierung, hervorragend
geeignet ist. Der nur in der Gesamtvollstreckung ausgeschlossene *
613a BGB, der eine Uebernahmepflicht fuer saemtliche
Arbeitsverhaeltnisse vorsieht, kann sich somit nicht als
Arbeitsplatzvernichter auswirken. Der Uebernehmer kann vielmehr den
Betrieb organisch wieder aufbauen und muss nicht - wie im Westen -
zunaechst mit einem "Wasserkopf" beginnen, was vielfach auch
uebernahmewillige Investoren von einer Uebernahme vollumfaenglich
Abstand nehmen laesst."	
Dr. Bruno M. Kuebler, RA als Verwalter


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