Fuer all jene, die die Zeit nicht lesen, kein KlickiKlicki-bunteBilder
oder einfach noch nicht den Zeit-Server gefunden haben
(http://ww.zeit.de): Hier kommt die neue Folge von Burkhard
("bustrass") Strassmann.
Unter Helmen (7) - die Motorradkolumne: "Fahren + Stehen = Treffen "
von Burkhard Straßmann
Eigentlich müssen Motorradfahrer immerfort fahren, fahren, fahren. Das
hat zwei Gründe. Der erste ist ein fahrphysikalischer: Einem Motorrad,
das steht, fehlen die stabilisierenden Kreiselkräfte. Es fällt um. Der
zweite Grund ist ein thermischer: Die Abkühlung des Körpers durch den
Fahrtwind ist enorm und steigt im Quadrat der Geschwindigkeit. Man muß
sich warm anziehen. Folgerichtig ist ein stehender Motorradfahrer
stets viel zu warm angezogen. Aus der Not haben die Motorradfahrer
eine Philosophie gemacht: Der Weg ist das Ziel. Das Verbrennen
fossiler Brennstoffe ist ein Wert an sich, gestoppt wird nur zum
Tanken.
Nun hat der Motorradfahrer aber auch noch andere Interessen: Er will,
daß man um seine Maschine herumsteht, über spezielle Federbeine
spricht und fragt, welcher TÜV den mordsmäßig lauten Krawalltüten
seinen Segen gegeben hat. Zur Befriedigung solcher Bedürfnisse wurden
die Motorradtreffen beziehungsweise "Treffs" erfunden.
Ein Motorradtreffen entsteht so: Jemand hängt in der Stadt Plakate auf
und schaltet Anzeigen in Motorradillustrierten, die besagen, daß es
jetzt endlich den Bremer Motorradtreff. Gebrauchtbörse, Tatoos,
Ledermoden, Benzin reden, Burnout-Show, Motorradkorso durch die
Innenstadt gebe. Schon versammeln sich am Sonntag auf einer
Industriebrache hundert Motorradfahrer, sogar aus Osterholz-Scharmbeck
und Sulingen, treten von einem Bein aufs andere und sind zu warm
angezogen. Ihre hochentwickelte Kommunikationsform heißt "Benzin
reden" (A: "Masse Japsenhobel hier." - B: "Die Reisschüsseln gehen
einem tierisch auf den Senkel." - A: "Na ja, Hauptsache Wetter
stimmt.")
Ein Mann namens Grobi läßt derweil sein Hinterrad so lange
durchdrehen, bis alles Gummi am Asphalt klebt und der Reifen platzt.
Das heißt "Burnout", ist laut und stinkt und gilt als unverzichtbares
Opferritual bei Treffen. An Tapetentischen demonstrieren die
Motorradfahrer ihr unverkrampftes Verhältnis zum Tod, indem sie
Totenköpfe zum Umhängen oder Aufbügeln erstehen oder sich auf den
Oberarm tätowieren lassen. Mittags bricht man auf zum Korso durch
die Innenstadt, 5000 dröhnende PS - eine machtvolle Demonstration für
irgendwas.
Wem ein Treffen als solches nicht reicht, der stellt es unter ein
Motto. Man unterscheidet Oldtimertreffs, Markentreffs, Treffs aus
Anlaß einer Motorsportveranstaltung und Betroffenentreffs. Das sind
problemorientierte Begegnungen von Minderheiten Stammtische für
Gespannfahrer (Gespann: eine Kreuzung von Auto und Motorrad, die alle
Nachteile beider Fortbewegungsmittel miteinander verbindet);
Stammtisch für alle Women on Wheels (mit Pannenkurs);
Vater-und-Kind-Gruppe ("Der kleinste Helm wo erhältlich?"); Treffen
christlicher Motorradfahrer/innen Heavens-Rider (im evangelischen
Gemeindehaus, Thema: Vorbereitung des nächsten
Motorradfahrer-Gottesdienstes). Der Gottesdienst ist übrigens ein
erstaunlich beliebtes Treffen. Das Motto heißt in der Regel: "Fahr
nicht schneller, als dein Schutzengel fliegt!"
Der unangefochtene Treff-Klassiker aber ist das Elefantentreffen.
Mitten im Winter versammeln sich in einem schneesicheren Gebiet - zum
Beispiel am Nürburgring in der Eifel oder am Salzburgring - beinharte
Motorradfahrer bei Glühwein und Pichelsteiner Eintopf. Sie wohnen in
Zelten, verachten Sommerfahrer und singen Lieder. Da die
Motorradkultur menschheitsgeschichtlich gesehen noch jung ist, hat sie
bisher kein eigenes Liedgut entwickeln können. Zum Winterhimmel
steigen aus hundert Männerkehlen Weisen wie "Wir lagen vor
Madagaskar". 1953 trafen sich die ersten vier "Elefanten" (Synonym für
das "elefantenstarke" Motorrad Zündapp KS 601) in einem Privatgarten.
24 Jahre später waren es allein in der Eifel 30 000, die 26
Schwerverletzte zurückließen und einen toten Polizisten.
Seitdem haben sich die Elefantentreffen deutlich zivilisiert. Bei
jedem Treffen, das auf sich hält, gibt es einen Moment schönster und
tiefster Gefühle - die Gedenkminute. Die Motorradfahrer gedenken ihrer
Toten. Es ist Nacht. Fackeln sind ausgegeben. Eine Liste wird
verlesen: Harry in der algerischen Wüste . . . Mike auf der B 75 . . .
Betroffenheit, ja Tränen findet man dann in harten Gesichtern.
Ciao,
Markus
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Markus K. V. Haake email: Markus.Haake@ub.uni-dortmund.de
'82 FLH http://www.ub.uni-dortmund.de/~mhaake