"Unter Helmen - die Motorradkolumne" (3):
das Harley-Davidson-Treffen
von Burkhard Straßmann
Heute besuchen wir ein Harley-Davidson-Treffen auf einer
Wiese in der Nähe von Quakenbrück. Wir haben ein bißchen
Angst. Harley-Davidson-Fahrer sind ja ganz harte Jungs.
Ganzkörpertattoo, schnelle Fäuste. Schlimme Machos. Ein
bißchen Vorbereitung kann nicht schaden.
Die erste Übung kann man mit der Gattin zu Hause machen.
Man muß nur den Mut aufbringen, ihr zu sagen: "Hey, Torte,
laß mal 'n Krefelder rüberwachsen!" Weil Torte nicht weiß,
was ein Krefelder ist, wird man nicht sehr erfolgreich
sein. Weiterüben!
Die zweite Übung: gehen, als hätte man sich in drei Tagen
auf einem Pferderücken durch South Dakota eine offene Wunde
zwischen den Oberschenkeln geritten. Dieser Gang ist auf
einem HarleyDavidson-Treffen zwingend vorgeschrieben.
Dann kauft man sich schwarzen Tabak zum Drehen und ein
schwarzes T-Shirt. Das darf ruhig über dem Bauch spannen.
Ein feister Bauch gilt als männlich. Der Rest der Garderobe
muß aus schwarzem Leder sein.
(Warnung: Wer - einer launigen Eingebung folgend - über
die Lederjacke ein luftiges Westchen streift, auf dessen
Rückseite zum Beispiel "Death Angels" oder "Black Rats"
geschrieben steht, für den ist der Tag schneller vorbei
als gedacht. Ein solches Westchen wird als Provokation
betrachtet. Nur Brüder - "Bros" - dürfen Westchen tragen.)
Auf dem Weg nach Quakenbrück lassen wir Torte ans Steuer
des Kleinwagens. Zur mentalen Vorbereitung studieren wir
die aktuelle Ausgabe von Easyriders - Unterhaltung für die
Männer unter den Bikern ("Alles über außergewöhnliche Unter-
sätze und halbnackte Frauen"). Wir merken uns die einzig
mögliche Antwort auf die Frage "Keine Bremse am Vorderrad?":
"What for?!" Wir beachten den Literaturhinweis auf einen
Leitfaden zum Arschverhau'n (Abwehrtechniken, Auswahl von
Feuerwaffen und Training, Einschätzung von Bedrohungen,
internationale Sicherheitsoperationen et cetera). Nach
gründlicher Einschätzung der Bedrohung setzen wir Torte
am Eiscafé "Venezia" ab.
Es dämmert schon. 500 Meter vor der fraglichen Wiese steht
ein kleines Wäldchen. Hier verstecken wir unseren Kleinwagen
neben anderen Kleinwagen. Ehemalige Motorradfahrer haben
unter Laub ihre Cabrios versteckt. Ganz tief ins Unterholz
drücken sich mehrere japanische Motorräder. Japanische
Motorräder werden von Harley-Davidson-Fahrern zur Abendstunde
gern mal kurz und klein geschlagen. Als hätten wir eine offene
Wunde zwischen den Oberschenkeln, nähern wir uns der Wiese.
Das Lied, welches wir jetzt summen sollten, heißt "Sympathy
for the Devil". Was um Gottes willen ist eigentlich "Krefelder"?
Mit klopfendem Herzen betreten wir die fragliche Wiese.
Jedes Harley-Treffen besteht aus Torten, einer langen Reihe
von Harleys, einem Krefelderzelt, einer Musikanlage ("Sympathy
for the Devil") und den gefürchteten Harley-Davidson-Fahrern.
Wer ganz sichergehen will, daß ihm nicht Böses geschieht,
stellt sich in einem Abstand von einem Meter vor eine Harley-
Davidson und staunt. Wir wollen ganz sichergehen. Wir staunen
über eine Harley-Davidson. Der Tank ist etwa daumennagelgroß.
Der Kilometerzähler ist ein Meilenzähler. Es gibt kleine
Platten am Vorderrad, so daß man die Füße hochlegen kann, was
bei Krampfadern hilft. Da kommt der Besitzer. Schwarzes Leder,
dicker Bauch, angetrunken (Krefelder). Wir stellen die ein-
studierte Frage: "Keine Bremse am Vorderrad?" Er, knurrend:
"What for?!" Wir fühlen uns aufgenommen.
Er heißt Konrad, ist Polizeiobermeister aus Bramsche und weiß
einen Mantawitz: "Warum steckt der Mantafahrer immer wieder
seinen Kopf in die Friteuse? - Wer so fährt wie Niki Lauda,
soll auch so aussehen!" Wir lachen herzlich und wie befreit.
Wir lernen an diesem Abend noch vier Polizisten, zwei Rechts-
anwälte, eine Architekten und zwei Maschinenbaustudenten kennen.
Sehr kultiviert! Sie stecken uns Adressen mit ausgewählten TÜVs
zu. Es gibt nämlich TÜV-Prüfer, die kennen die einzig wahre
Antwort auf die Frage: "Keine Bremse am Vorderrad?"
Die Torte von Konrad heißt Gisela. Sie erzählt, wie Konrad
darunter leidet, beruflich eine BMW fahren zu müssen. Eine
BMW! Konrad photographiert seine Torte vor seiner Harley-
Davidson. Entgegen allen einschlägigen Medienberichten entblößt
Gisela ihren Oberkörper nicht.
Die Maschinenbaustudenten haben ein Lagerfeuer angezündet.
Einer heißt Uli. Er hat eine Gitarre. Siebzig Harley-Davidson-
Fahrer singen "Hohe Tannen weisen die Sterne". Sehr schön!
Ergriffen singen wir mit. Gegen Mitternacht wagen wir's. Wir
gehen zum Krefelderzelt und sagen: "Hey, Torte, laß mal 'n
Krefelder rüberwachsen!" Zum Glück so leise, daß die Torte
nichts hört. Also lauter, errötend, aber es ist dunkel:
"Hören Sie, was ist das eigentlich: Krefelder?" - "Bier mit
Cola, mein Schatz!" Hach, sind das erstklassige Torten hier!
Prost, Bros!