From: Christian Voelker, Christian.Voelker@munich.netsurf.de
Subject: Text: Unter Helmen Folge 1
Date: Thu, 11 Jul 1996 15:25:36 -0400
Organization: ccn computer consultant network GmbH

Yohoo!

Anbei mal ein kleiner Text, den ich heute gelesen habe, vielleicht findet ihr 
den genauso spassig wie ich. Aus: Die Zeit Nr. 29 vom 12. Juli 1996, Seite 59.


                                Unter Helmen
                Burkhard Straámanns Motorradkunde - Folge 1

Polofahrer gráen sich nie. Omegafahrer gráen sich nie. Doch fahren zwei 
Alfa-Romeo-Fahrer aneinander vorbei, heben sie auffallen l„ssig einen Finger 
der linken Hand. Wer eine ¯Ente® f„hrt, grát andere Entenfahrer, indem er 
aufgeregt mit der Frischluftklappe wackelt. Selbst Lkw-Fahrer kleben sich 
manchmal eine rote Plastikhand an die Windschutzscheibe. Wer sich im 
Autoverkehr als exquisite Mehrheit empfindet, grát die Angeh”rigen seiner 
exquisiten Minderheit. Die h”chstentwickelte Gruákultur aber findet man unter 
Motorradfahrern.

Die Ursprnge des Motorradgruáes reichen bis in die Steinzeit zurck. 
Motorradfahrer waren damals auáerordentlich selten. Es gab kaum befestigte 
Straáen, und die R„der waren noch aus Stein. Nur ganz harte Kerle vertrugen die 
Strapazen des Motorradfahrens. Begegneten sich zwei dieser Kerle, hielten sie 
an, stiegen ab und zeigten einander die ge”ffneten H„nde, um zu demonstrieren, 
daá sich kein Faustkeil darin verbarg. So wurde der Motorradgruá erfunden.

Unter „hnlich harten Bedingungen sind heute nur noch die Winterfahrer 
unterwegs. Motorradfahrer sind entweder Winterfahrer oder Weicheier. Weicheier 
trifft man im April im Straáenverkehrsamt an, wo sie ihre stillgelegten 
Maschinen wieder anmelden. Winterfahrer dagegen fahren durch. Ihre Zahl ist 
klein. Treffen sich zwei Winterfahrer, ist die Freude groá. Sie heben dann so 
freudig und ausgiebig die H„nde, daá sie vom Motorrad zu strzen drohen. Von 
April an gráen Winterfahrer nicht mehr. Winterfahrer gráen keine Weicheier.

Das Motorradgráen ist stark reglementiert und wird von Anf„ngern zu Recht als 
sehr kompliziert angesehen. Es ist umlagert von allerlei Ge- und Verboten. Das 
bekannteste Verbot lautet: Gráe nie, nie!, ein Einspurfahrzeug, das weniger 
als hundert Kubikzentimeter Hubraum hat. So etwas ist kein Motorrad!

Wer fahrl„ssig Motorroller, Mofas, Mokicks, Kleinkraftr„der oder 
Leichtkraftr„der grát, verliert sein Gesicht und insbesondere jegliche 
Selbstachtung. Da dem Anf„nger alles, was zwei R„der und einen Motor hat, von 
vorn betrachtet, „hnlich vorkommt, bereitet ihm dieses Verbot die gr”áten 
Schwierigkeiten. Ein Spezialfall: Oldtimer. Oldtimer werden grunds„tzlich 
freudig und bewundernd gegrát, unabh„ngig vom Hubraum. Oldtimer werden meist 
von technisch versierten „lteren Fahrern gefahren, sogenannten ¯alten 
Schraubern®. Solchen wird Respekt gezollt.

Trifft man alte Schrauber, wartet man, ob sie gráen. Von Frhling bis Herbst 
gráen viele nicht, weil sie Winterfahrer sind. Weil das korrekte Gráen so 
schwer ist, sollten Anf„nger nie voreilig von sich aus gráen.

Ungeregelt und darum praktisch nicht existent ist die Motorradgruákultur auf 
der autobahn. Nicht einmal erfahrene Motorradfahrer k”nnen sagen, ob man 
entgegenkommende Motorr„der ber sechs Fahrspuren und einen Grnstreifen hinweg 
gráen muá. Fahrtechnisch problematisch wird das Gráen beim šberholen. Die 
klassische Gruáhand, die Linke, wird vom šberholten nicht gesehen. Grát man 
mit der Rechten und nimmt dazu die Hand vom Gasgriff, bremst die Maschine ab- 
fatal beim šberholen.

Absurde Verrenkungen sind auf unseren Autobahnen zu beobachten, wenn 
Motorradfahrer versuchen, mit der Linken vorn am K”rper vorbei nach rechts zu 
gráen. Uneingeweihte autofahrer tippen auf Heuschreckenschw„rme oder 
Unterarmkrampf. Der Autobahngruá ist eben gerade mal so jung wie die Autobahn 
und kennt kaum Traditionslinien.

Zu Konflikten kommt es auch, wenn man den deutschen Groákulturraum verl„át. So 
sind deutsche Motorradfahrer in Italien verwirrt und erbost, weil dort partout 
niemand gegrát wird. Nicht einmal ein alter Schrauber. Die Erkl„rung: Der 
¯italienische Gruá® besteht in einem fr unser Auge nicht wahrnehmbaren Zucken 
des linken kleinen Fingers. Solche Miáverst„ndnisse fhren zu dem Vorurteil, 
italienische Motorradfahrer seien unfreundlich und arrogant. Ein Desiderat der 
Gruákulturforschung!

In Deutschland gilt das minimalistische ¯italienische Gráen® als verp”nt. Man 
verachtet das furchtsame Festhalten am Lenker. Diese Haltung ist nicht 
unproblematisch. Wenn man beim Auto die Hand vom Lenkrad nimmt, f„hrt es 
geradeaus weiter. L„át der Motorradfahrer den Lenker los, f„llt die Maschine 
ber kurz oder lang um. Besonders in Kurven. Ganz besonders beim sogenannten 
¯Heizen®, dem enorm schnellen Fahren. Der ¯Heizergruá® in extremer Schr„glage 
(ein Knie berhrt den Asphalt) gilt als sehr riskant. Er wird  allgemein als 
Nachweis hoher Fahrkunst angesehen. Wer diese Kunst nicht beherrscht und 
dennoch ausbt, riskiert seinen letzten, den sogenannten ¯goldenen Gruá®.

Aus: Die Zeit Nr. 29 vom 12. Juli 1996, Seite 59

Die naechsten Folgen kommen woechtenlich raus. Wenn Interesse besteht, poste 
ich die dann auch noch- aber nur wenn Interesse besteht (mailen!).

Unn wech...
  Christian

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