From: Patrick Bosch, bosch@pan.informatik.uni-bonn.de
Subject: Re: MORALPREDIGT (war: BLOED : Erste Erfolge im Kampf gegen die Rocker....)
Date: 12 Jun 1996 23:06:51 GMT
Organization: Dept. of Computer Science, University of Bonn, Germany

Dirk Straka (dirk@news.drb.insel.de) wrote:

: Da hab' ich gar nicht so viel gesagt.  Nur:  "Soviel zum Thema mit
: T-Shirt fahren".  Das sollte kein Angriff sondern lediglich Ausdruck
: meiner - auch wenn Du es nicht glauben solltest - Besorgnis sein ...

Nein. Du hast noch ein "Danke" drangehaengt ,-) Das war halt das, was
etwas beleidigt klang und als ob ich nun was damit zu tun haette. Aber
Schwamm drueber, mag durchaus sein, dass ich das in den falschen Hals
bekommen habe. 

: ich mache mir halt hin und wieder Gedanken ueber andere Menschen.

Du wirst Dich wundern, das mache ich auch (mit wechselndem Erfolg).

: Und in einem solchen Fall ist es auch egal,
: ob ich mit 100 oder 130 da 'reinbuegle.  Es sind eh' beide Geschwindig-
: keiten zu hoch.  Also kann/muss ich das in meine Kopfkontrolle nicht mit
: einbeziehen.

13*13 macht 169. Macht also Faktor 1.7 bei der Beurteilung der potentiel-
len Abflugenergie. Das halte ich durchaus fuer einen nennenswerten Unter-
schied. FAktisch wird der Unterschied sogar noch groesser, wenn Du vorher
noch eine gewisse Strecke zum Bremsen hast (die dann nicht reicht). 
Das rechne ich jetzt hier nicht vor, aber Du wirst es wohl selber wissen.

[...]
: Und da fahre ich *sehr* kopfkontrolliert.  Auch,
: wenn's fuer Hinterherfahrende nicht immer so aussehen mag.  Wer's nicht
: glaubt, mag Elyan fragen ...  :-)

Um das als hinterherfahrender beurteilen zu koennen, muesste ich erstmal
ueben, um etwas laenger an Dir dranzubleiben ,-) 

: Ich z.
: B. empfinde keinen subjektiven Sicherheitszuwachs gegenueber einem im
: T-Shirt Fahrenden.  Ich bin zwar weniger gefaehrdet, aber deswegen nicht
: sicherer.  Das ist ein feiner Unterschied.

Du faehrt ja nicht im T-Shirt und das brauchst Du ja auch nicht. Aber
ich moechte doch mal sehen, ob du Deinen Stil auch im T-Shirt fahren
wuerdest. Ich bleibe dabei: ach da gaebe es einen Unterschied.

: > Ich bezog mich jetzt auf Stadt- oder Autobahnfahrten, wo die Unsicher-
: > heit durch wenig Sicherheit(skleidung) leicht kompensiert werden kann.

: Nein.  Kann sie nicht.  Und hoer' bitte auf, solch gefaehrliche Thesen
: zu verbreiten.  Es koennte sie jemand hoeren, der sie glaubt.

Also erstmal behauptest Du, es entstuende kein zusaetzliches Sicher-
heitsgefuehl, wenn man Schutzkleidung traegt. Ergo kann ja auch kein
Unsicherheitsgefuehl oder "Weniger-Sicherheit-Gefuehl" (wo ist denn da
bitteschoen auch der Unterschied?) entstehen. 

Ich kann Dir nur sagen, wie's mir ergeht: in der Stadt fahre ich, wenn
ich in Jeans fahre, vorsichtiger, weil ich _weiss_, dass ich mich 
beim Abflug boese verletzen kann (=leicher als mit Schutzkleidung). 
Dadurch fuehle ich aber keine Unsicherheit - ich lasse ganz bewusst
auf diesem runden Ding mit dem Zeiger 10 km/h weniger anliegen als
normal und bremse frueher, fahre unuebersichtliche Kurven langsamer.
Die "Gefahr" habe ich nicht staendig im Kopf, wo sie mich nervoes macht,
sondern ich weiss um sie und gut ist.
Wenn ich auf der Landstrasse im T-Shirt fahre (was ich gemacht habe,
das ist aber schon lang her... mit Ausnahme der Strecke Abfahrt Lauf 
-> "Zeltplatz"), dann kommt dieses Gefahrbewusstsein deutlich oefter
zum Vorschein, z.B. jedesmal, wenn der Hinterreifen mal ein wenig
wegrutscht. DAS wuerde ich schon als Unsicherheit bezeichnen.

: Ein einfaches Beispiel:  Du kommst um die Ecke, ein Laster steht quer.

Das passiert mir nicht. Davon bin ich ueberzeugt. Weil ich in der
_Stadt_ so fahre, dass ich vor _stehenden_ Hindernissen jederzeit anhalten
kann. Das ist zumindest mein Vorsatz, und dem komme ich relativ nahe.

: Unter der Ladeflaeche waere genug Platz zum Drunterdurchschliddern.  Die
: Alternative:  'reinbraten.  Ersters ist sicherlich in *jedem* Fall guen-
: stiger.  Aber ohne Leder wirst Du zoegern ...  ein Zoegern, dass Dich
: vielleicht das Leben kosten kann ...  kein konstruiertes Beispiel.

Bei 50 km/h stehe ich nach gut 15 Metern oder so. Schon in der Sekunde,
wo ich ueberlege, ob ich die Bremsung packe oder mich ablege zwecks
wegschlittern, habe ich die mehr als zurueckgelegt. Ich wuerde immer
voll in die Bremse langen. 

: Und warum mehr Risiko eingehen, als eh' schon besteht?

Und warum 130 statt 100 fahren und damit ein 1.7faches Risiko eingehen?
Das ist doch Jacke wie Hose.

: Soso.  Und nun erklaer' mir doch mal, wo der grosse Unterschied zwischen
: Autobahn und Landstrasse besteht - insbesonder unter Beruecksichtigung
: der Tatsache, dass weite Strecken unserer Bahnen tempolimitiert sind ...
: auf einer Autobahn waeren Corinna und ich nicht so glimpflich weggekom-
: men - da stehen naemlich ueblicherweise LeiDplanken ...  bei mir jeden-
: falls macht das zusaetzliche AB (B vs. BAB) keinen grossen Geschwindig-
: keitsunterschied aus.

Dann erklaere ich Dir das gerne mal ,-)
Die Unfallgefahr ist auf der Autobahn so gering wie auf keiner anderen
Strasse. Ich fahre i.d.R. 140 auf der Autobahn. Da sind fast alle
Kurven keine Kurven, sondern Geraden - d.h. man wuerde auf einer
Oelspur eventuell gar nicht abfliegen, und wenn, dann haette man gute
Chancen, auf der Spur oder dem Randstreifen zu landen und nicht in die
Leid(!)planke abzufliegen.

Ich bin jetzt nicht Meister Sluka und habe auch keine statistischen
Waelzer bei der Hand, aber ich bin ziemlich sicher, dass bezueglich
getoeter Moppedfahrer deren Anzahl auf der Autobahn zweistellig ist,
erheblich mehr in der Stadt und nochmal Groessenordnungen mehr auf der
Landstrasse verunglueckt sind.

Wenn's dann natuerlich doch passiert mit dem Abflug auf der Autobahn,
dann sind die tempobedingten Folgen allerdings vom uebelsten, das ist
klar. Ich werde daher auch nicht mehr ohne Schutzkleidung dort fahren.

Das hat aber ganz bestimmt nicht den Grund, dass ich nun "eingesehen"
haette, dass die Autobahn genauso gefaehrlich sei wie eine andere
Strasse. Das ist nicht der Fall.

: > Aber ich fahre 50 statt 70.
: Dann tu das mit Leder und Du bist *wirklich* sicherer.

Dass sich die Sicherheiten addieren, ist mir schon klar ,-)

: > Ich halte groesseren Abstand. Ich bremse staerker vor Kreuzungen oder
: > vor Wagen a la "hm... der _koennte_ jetzt ploetzlich vor mir abbiegen".

: Und warum nicht mit Leder?  Da stimmt doch was in Deinem Kopf nicht!
: Daran solltest Du arbeiten!  Und zwar dringend!

Dirk, ich schrieb "staerker", ich schrieb nicht "ich bremse nun...". 

Was in meinem Kopf stimmt und was nicht, das aber bitte ueberlasse lieber
mir. Jedenfalls hat mein Kopf noch keinen staerkeren Schlag auf den
Helm abbekommen, und ich habe auch meine 75000 km hinter mir. Und davon
eine ganze Menge in der Stadt. 

: > Es ist eben ein Tradeoff zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit.

: Bequemlichkeit?  Ich wuerde das eher falsche Gefahreneinschaetzung,
: Ignoranz, Selbstbetrug und Faulheit bezeichnen.

Wo ist denn der Unterschied zwischen Faulheit und Bequemlichkeit? Und
was heisst "falsche Gefahreneinschaetzung"? Ich kenne die Gefahr, und ich 
kannte sie auch vor dem Anblick der Folgen bei Corinna. Und ich lebe
damit. Mein Ansatz, sie durch vorsichtige Fahrweise und weitaus
ueberwiegendes Fahren _MIT_ Schutzkleidung zu minimieren, hat sich
bislang als relativ erfolgreich herausgestellt (streite aber nicht ab,
dass auch Glueck dazugehoert).

: Gut.  Merk' sie Dir.  Und erzaehle *das* weiter.  Und denk' beim nexten
: Mal dran, wenn Du dich in Jeans auf den Bock setzt.  Vielleicht solltest
: Du Dir auch mal ihre Hose ansehen ...

... aber wenn man nur Sozia ist, braucht man ja keine Protektoren. 
Warum hast Du eigentlich _dazu_ nichts gesagt? Corinna hat ja bedauer-
lichweise die Folgen dieser Fehleinschaetzung erleben muessen :-(((,
da will ich nun ganz bestimmt nicht drauf rumreiten. Aber trotzdem, 
hast Du da vielleicht drauf hingewiesen, dass es zwar sicherlich besser
sei als Jeans und T-Shirt, aber von einer ordentlichen Motorradbeklei-
dung meilenweit entfernt? Immerhin bist Du ja offenbar geschwindigkeits-
maessig deutlich ueber den "Reserven" dieser Bekleidung unterwegs gewe-
sen (auch das ist jetzt kein Vorwurf - sowas muss der/die Sozius/-a
schon vorher klaeren, der/die kennt ja auch seine Kleidung am besten).

Ich bin, als ich Holger nach dem VFR-Abflug mitgenommen habe, nur auf
uebersichtlichen Geraden (!) 110 gefahren, in Kurven meist 80. DC kann's
bestaetigen, der ist naemlich hinterhergeeiert ,-) Das lag nun mal
ausnahmsweise nicht dran, dass ich mir Kurven mit Sozius nicht mit mehr
als 80 zutraue, sondern eine Verletzung des Mitfahrers ueberhaupt nicht
verantworten moechte, bei meiner eigenen ist das ausschliesslich mein
Problem. Nix ist 100%ig, aber so war's schon recht nah dran.

: Siehe oben.  Wenn's danach ginge, duerfte man nicht mehr aus der Wohnung
: 'raus.  Es gibt Risiken, die man einfach nicht eliminieren *kann*.
: Ich nehme ueberhaupt die Gefahr in Kauf.  Eben wegen des Fahrens und dem
: Spass, den ich dabei habe.  Ich muss nur unterscheiden koennen, welche
: Gefahren ich minimieren kann und welche nicht.

Ich glaube vielmehr, Du nimmst die Risiken ganz gezielt selektiv wahr,
so wie sie Dir in den Kram passen. Es geht hier ueberhaupt nicht um 
das Eliminieren einer Gefahr - die eliminierst Du auch mit Schutzkleidung
nicht. Es geht um das Verkleinern oder bestenfalls Minimieren einer
Gefahr - und das tust Du in bezug auf die Kleidung, mitnichten aber auf
die Fahrweise. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich werfe Dir hier
mitnichten eine halsbrecherische Fahrweise vor! Alle, die Deine Fahrweise
mal beobachtet haben, mich eingeschlossen, duerften davon ueberzeugt sein,
dass die sicherlich ziemlich "gut" ist. Mir faellt leider kein passender
Begriff ein. 
Ich schreibe dazu unten am Ende noch was.


: > Ich _empfehle_ niemanden, rumzuheizen. Ich empfehle auch niemandem,
: > ohne Schutzkleidung zu fahren.

: Dann vertritt Deine Meinung auch nicht als scheinbar argumentativ unter-
: mauerte Theorie, die bei irgendwem unbedarftem den Eindruck erwecken
: koennte, die Argumente seien objektiv und damit die Theorie richtig.

Wer hier so unbedarft ist, dass er selbst nicht in der Lage ist, zu
entscheiden, was wohl auf dem Motorrad anzuziehen sei und warum, der
hat wirklich Pech gehabt. Der denkt dann auch, dass er die Nordschleife
in 7:50 befahren kann, weil das ja schon ein paar Leute koennen und die
das echt geil finden.

Ich habe keine Theorie aufgestellt, sondern lediglich gesagt, wie ich
einige Dinge mache (oder gemacht habe) und warum. Die Argumente waren
soweit voellig richtig, und wenn Du mal genau hinsiehst, habe ich nirgend-
wo behauptet, "dass man im T-Shirt sorglos fahren koenne, weil..." oder
aehnliches. Das Argument "Faulheit" (oder Bequemlichkeit), was _fuer_
das T-Shirt/Jeans fahren spricht, ist natuerlich bei jeden anders
ausgepraegt und daher diese ganze Aussage sowieso sehr subjektiv.
Manchmal habe ich zum Beispiel (aus Gruenden, die nichts mit dem Motor-
radfahren zu tun haben) so eine "scheissegal" Einstellung und dann fahre
ich nur noch so, dass ich moeglichst keinen anderen mitreisse, auf mich
selbst aber keine grosse Ruecksicht nehme. Ob das nun wieder ein Problem
mit meinem Kopf ist oder ob psychisches Auf- und Ab voellig normal ist,
kann ich hier als fachunkundiger nicht abschliessen beurteilen.

Das obige geht jetzt natuerlich (!) ebenfalls nicht persoenlich gegen Dich.
Ich weiss, dass Du eine Menge Kilometer zurueckgelegt hast. Ich habe
aber auch kurz gesehen, wie Du faehrst, und zudem einiges aus vertrauens-
wuerdiger Quelle erzaehlt bekommen (keine Intrige ,-) Ueber gute (und
auch besonders schlechte Fahrer) werden halt schon mal Worte verloren).
In bezug auf "wie schnell kommt der
durch Kurven" oder "wie gut beherrscht der seine Kiste" war das alles
durchweg sehr positiv. Da gibt's ueberhaupt nichts zu meckern, es ist
mir auch klar, dass Du mich, auch wenn ich 150 PS haette, auf einer nicht
allzu breiten Landstrasse wohl auch mit 34 PS versaegen wuerdest. 
Aber was Du nicht siehst oder vielmehr - glaube ich - nicht sehen willst,
ist, dass es eben _NICHT_ egal ist, wie schnell man faehrt, und dass es
nicht immer reicht, dass man theoretisch die Kurve mit wunderschoenen
>40 Grad Schraeglage durchfahren kann. Das zeigt Deine obige Argumen-
tation a la "130 oder 100, wenn's knallt ist das doch egal". Denn erst-
mal knallt es systembedingt bei 100 nicht so schnell wie bei 130, und
zum zweiten knallt's - wenn es knallt - mit weniger (Rest)geschwindigkeit.

Es gibt mindestens zwei Moeglichkeiten, Risiko zu vermindern - langsamer
und besser bekleidet. Tendenziell neige ich mehr zur ersteren, Du zur
letzteren. Ich verstehe allerdings nicht, wieso das eine prinzipiell
soviel schlimmer sein soll als das andere.

Patrick
--
Patrick Bosch  Dept. of Computer Science II, University of Bonn, Germany
               http://hera.cs.uni-bonn.de/patrick  phone: +49-228-550417

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