From: Bernard M. Piller, piller.b@magnet.at
Subject: Didaktik gefragt
Date: 15 Jul 1995 18:29:43 GMT
Organization: magnet Online Service

Heute einmal etwas anderes:

Wie wird man ein sicherer, sportlicher Motorradfahrer?

Ich habe einige Freunde, die langsam beginnen das sportliche Fahren zu
entdecken und mich des oefteren um Rat fragen. Das fahrerische Talent ist bei
diesen Leuten ebenso unterschiedlich wie ihre Fahr-Erfahrung. Einige von
ihnen sind auch schon auf Rennstrecken gefahren, hatten aber dabei solchen
Schiss, dass sie wenig Spass dabei empfanden, es aber wieder versuchen wollen
wenn sie sicherer sind -> Also wollen sie auf der Strasse trainieren.
Ich bin auch sehr gerne bereit, Tips (heuchel, heuchel) zu geben,
vorzufahren, etc.
Es bereitet mir allerdings oft Schwierigkeiten, automatisierte Vorgaenge zu
erklaeren, oft faellt es mir auch schwer, Unterschiede zwischen einem
schnellen (und guten) Fahrer und dem Aspiranten so zu erkennen, dass ich es
erklaeren kann.
Das Twist Of The Wrist Video von Keith Code hat mir dabei uebrigens sehr
geholfen, auch um mir meine eigenen Ablaeufe verstaendlich zu machen.

Ich war heute nachmittag alleine unterwegs und habe mich am Exelberg an einer
interessanten Stelle postiert, um eine Stunde lang die Motorraeder zu
beobachten, dabei ist mir die Idee zu diesem Mail gekommen.

Wie habt Ihr Schnellfahren gelernt, bzw. was gebt Ihr Euren Freunden fuer
Tips?


Der Weg wie ich es lernte, ist einer den ich jedem empfehlen wuerde. Lasst
mich also etwas Gehirnwixerei betreiben:

1) So viel wie moeglich fahren und dabei moeglichst unterschiedliche Strecken
kennenlernen (auf der "Hausstrecke" ist bald wer schnell). Nicht versuchen
mit Schnelleren mitzuhalten.
2) Mit einem routinierten Freund fahren. Er sollte einen mit den guten
Strecken bekanntmachen und ruecksichtsvoll vorausfahren: Nicht staendig die
Pace erhoehen, wenn der "Schueler" aufschliesst. Nur so ueberholen, dass der
Hintermann mitziehen kann und nicht alleine hinterherheizen muss. Die
Bremspunkte (Bremslicht des Vordermannes ist psychologisch wichtig) so
waehlen, dass der Novize nicht ins Schwitzen kommt, generell sollte man aber
fluessig und ohne zu bremsen fahren.
3) Bei unterschiedlichen Verhaeltnissen fahren, Sicherheit auf nasser
Fahrbahn erhalten. Die Rutscher die man im Regen bei relativ niedriger
Geschwindigkeit erlebt, schulen ungemein fuer unvorhergesehene Slides im
Trockenen. Optimal: Nebenbei mit Enduros auf Schotterstrassen fahren (die
schnellsten Maenner auf zwei Raedern fahren im Winter alle Motocross oder
kommen ueberhaupt aus der Dirttrack Szene).
4) Richtig sitzen (Haha, wer weiss nicht wie man richtig sitzt? Also, ich
kenne ein paar.), Knie am Tank, Arsch ganz vorne, Zehenspitzen auf die
Rasten. Mit schaudern sehe ich oft Jungs den Hang-Off trainiern, die noch
nicht einmal die richtige Linie finden und der Schraeglage nicht trauen. Ich
meine, man sollte zuerst in der Normalposition (in Wien sagen wir "Der
Englaender") die Schraeglagenerfahrung sammeln und dann mit dem Hang-Off
beginnen. Beim Hang-Off Training darauf achten, dass die gesamte Bewegung des
Umsetzens aus den Beinen kommt, Klimmzuege am Lenker fuehren zu enormer
Fahrwerksunruhe. Nicht gleich versuchen, am Knie zu fahren, zuerst bei
versetztem Arsch den Knieschluss an der Verkleidung beibehalten, den
Oberkoerper dabei tief nach vorne in die Kurve legen, um den Schwerpunkt zu
verbessern.
5) Richtig bremsen, vergesst den Fahrschul-Schwachsinn (ups, sehe ich da
Flames kommen?). Gebremst wird vorne, NUR VORNE (A). Das entlastete und
unruhige Hinterrad wird mit Hinunterschalten gebaendigt. Das Wichtige und
enorm Schwierige (so habe ich es zumindest empfunden) ist dabei, dass beim
Zwischengasgeben (B) der Bremsdruck nicht veraendert wird. Man bremst mit
Zeige- und Mittelfinger, Daumen, Ringfinger und kleiner Finger umfassen den
Gasgriff. Erklaerung A): Die GP Fahrer bremsen hinten mit, da die
Zweitaktmotoren ueber eine sehr geringe Motorbremswirkung verfuegen.
Erklaerung B): Zwischengas ist notwendig um im hoeheren Drehzahlbereich
fluessig hinunterzuschalten, dabei ist bei jedem Gangwechsel Zwischengas und
kuppeln notwendig (nicht Kupplung ziehen und dreimal hinuntertreten sonst ist
die Gefahr des Ueberdrehens gegeben, ausserdem verliert man dabei wieder die
Bremswirkung des Motors).
Eine der haeufigsten Unfallursachen die ich beobachte, ist dass der ungeuebte
oder ueberraschte Pilot mit blockiertem Hinterrad die Strecke geradaus
verlaesst. Wenn man gelernt hat, die hintere Bremse (sie hat ohnehin
praktisch keine Wirkung, bzw. bringt das entlastete Rad leicht zum
Blockieren) niemals zu benutzen, wird einem diese Kurzschlussreaktion nie
passieren.
Ein weiterer Vorteil einer Vollbremsung auf dem Vorderrad: Die tief
eingetauchte Gabel ergibt eine hervorragende Vorderradkontrolle und
ermoeglicht radikale Linienkorrekturen im Ernstfall (aus diesem Grund wurden
die Anti-Dive Systeme wieder aufgegeben und ist die Omega-Schwinge der GTS
1000 ein Flop).


Ich bitte um Anmerkungen und Ergaenzungen. Auch wenn es nach
Selbstbeweihraeucherung klingt, sollte dies ein ernstgemeintes und
konstruktives Mail sein.

Euer Hoss.


/----------------------------------------------\
|                                              |
|  Hoss.                      Vienna, Austria  |
|                                              |
|  rwr#5395                      '92 CBR600F2  |
|                                              |
|  "What doesn't kill you makes you tougher."  |
|                                              | 
\----------------------------------------------/