Die Bremsenseite
Mitte 1997 war es in de.rec.motorrad
mal wieder soweit: eine wilde Tastaturhatz begann, als es galt, eine
Erklärung für für die ";beste Kombination"; von
Bremsscheiben/Bremsbelägen zu finden. Als studierter
Werkstoffwissenschaftler mischte ich mich zu einem Zeitpunkt in die Diskussion
ein, als dermassener Mist geschrieben wurde, der so einfach nicht stehen
bleiben konnte. Allerdings war es unglaublich schwierig, eine vernünftige
Erklärung zu finden.
Flugs war die Serienbrieffunktion aktiviert und die
Hersteller/Importeure/Vertriebe von namhaften Mopped- und Bremsenherstellern
waren angeschrieben, zu den werkstoffkundlichen Unterschieden zwischen
Stahl-/Gußeisenbremsscheiben sowie dazu korrespondierenden organischen,
bzw. Sintermetallbremsbelägen Stellung zu nehmen.
Die erste Ernüchterung stellte sich bei den ersten Antworten ein, die
zu 98% darauf hinwiesen, daß diese Angaben das spezielle Know-How
der jeweiligen Hersteller seien. Ach was! Andere Firmen hatten Personalprobleme
(Arbeitsüberlastung) und konnten/wollten Ansprechpartner, die Licht
in das Dunkel bringen könnten, nicht benennen.
Eine gewisse Aufhellung kam schließlich durch die Antwort von Herrn
Steinmetz, Fa. Spiegler vom 19.8.97, das ich nachfolgend (auszugsweise, ohne
Einführungs- und Ausführungsfloskeln) zitiere. Doch vorher noch
ein paar allgemeine Bemerkungen zu Bremsscheiben und ihren Belastungen [nach
W. Keiner, H. Werning, ";Hochgekohlter Grauguß GG-15HC - Idealer Werkstoff
für Bremsscheiben und Bremstrommeln";, in konstruieren + gießen
15 (1990) Nr.4]:
Bremsen haben die Aufgabe, innerhalb kurzer Zeit kinetische Energie durch Reibung in Wärme umzuwandeln
bei dauernder Höchstbeanspruchung (z.B. bei Paßfahrten) werden Temperaturen an der Bremsscheibe bis zu 800°C erreicht (und bei Regen bsplw. sehr schnell wieder abgekühlt)
Kriterien für Bremsscheibenwerkstoffe sind
ausreichende mechanische Festigkeit (Vermeidung eines Bruchs der Scheibe)
hohe Verschleißbeständigkeit (gute Haltbarkeit)
niedriger Elastizitätsmodul (= geringe Thermospannungen)
hohe Wärme- und Temperaturleitfähigkeit (die für eine schnelle, gleichmäßige T-Verteilung wichtig ist=geringe thermische Spannungen)
niedriger thermischer Ausdehnungskoeffizient
hoher Widerstand gegen Thermorisse (=Brandrisse; diese entstehen durch kurzzeitiges Überschreiten von Temperaturen, die in der belasteten Randschicht zu einer Gefügeumwandlung führen (Perlit ---> Bainit, Martensit). Bedingt durch die unterschiedliche Ausdehnung der neu entstandenen Phasen zum Grundgefüge kann es hier zu Spannungsrissen, mindestens aber zu einer lokalen Aufhärtung verbunden mit einer rapiden Verschlechterung der Bremsleistung, kommen)
Probleme können darüberhinaus noch durch eine ungleichmässige Wärmeverteilung auf der Scheibe während des Bremsens selber auftreten. Der Fahrer bemerkt dies durch ein ";Rupfen"; oder ";Rubbeln"; der Bremse. Gründe hierfür liegen in der sorgfaltlosen spanenden Fertigung, die zu
einer Ungleichdicke sowie
mangelhaftem Planschlag und Welligkeit
der Bremsscheibe führen kann.
Aus der Wärmetechnik gilt die Erkenntnis, daß gute Wärmeleiter
auch die Möglichkeit haben sollten, diese über eine möglichst
große Fläche abstrahlen zu können. Hierzu sind Bremsscheiben
teilweise als innen- bzw. aussenbelüftete ";Doppelbremsscheiben";
ausgeführt.
Die Bohrungen tragen um ein weiteres zum besseren Abkühlen bei.
Aber nun zum zitierten Schreiben:
";... Zitatanfang
1. BREMSSCHEIBEN
Der vermutlich wichtigste Grund für die Verwendung von sogenanntem
";Edelstahl" (ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinunghandelt es sich
hier nicht um einen wirklich rostfreien, sondern lediglich um einen schwer
rostenden Stahl) als Bremsscheibenmaerial liegt darin, daß Bremsscheiben
am Mottorrad einen erheblichen Anteil am optischen Eindruck haben. Und dieser
wird durch eine mit Flugrost "geschmückte" Gußscheibe natürlich
etwas beeinträchtigt.
Als Beleg hierfür mag z.B. gelten, daß bis heute kein
Automobilhersteller auf die Idee verfallen ist, die Bremsscheiben aus Edelstahl
herstellen zu lassen, wie auch immer noch in aller Regel
Gußeisenbremsscheiben im Sporteinsaz bevorzugt werden.
Daneben gibt es noch zwei weitere Gründe, die allerdings nur untergeordnete
Bedeutung haben:
eine Bremse mit Stahlscheiben "packt" im im kalten oder nassen Zustand subjektiv früher
die Verwendung von Sintermetallbremsbelägen, die oft weniger leicht korrodieren als viele organische Beläge, wird möglich
In welchen Eigenschaften unterscheiden sich nun die Werkstoffe? Da sind, neben der unterschiedlichen Korrosionsneigung, im wesentlichen die folgenden Punkte zu nennen:
Die spezifische Wärmeleitfähigkeit von Gußeisen liegt mehr als viermal so hoch, wie die von legiertem Stahl. Zudem ist auch die spezifische Wärmekapazität etwa 4% höher.
Gußeisen enthalten elementaren Kohlenstoff.
Zu Punkt 1:
Wesentlich für die Belastungen, die an einer Bremsscheibe auftreten,
ist die umzusetzende Wärmemenge (abhängig von Fahrzeugmasse und
Geschwindigkeit vr bzw. nach der Bremsung). Diese umzusetzende Wärmemenge
wird an der Kontaktstelle zwischen Belag und Scheibe erzeugt und soll
möglichst komplett von der Scheibe aufgenommen werden, um das hydraulische
System vor hohen Temperaturen zu schützen.
Diese Wärme muß von der Scheibe an die Umwelt abgeführt werden.
Dabei hat insbesondere die höhere Wärmeleitfähigkeit des Guß
mehrere Vorteile.
Zum einen sorgt sie dafür, daß das Scheibenmaterial schneller
gleichmäßig durchwärmt wird. Dies begünstigt einen
konstanten Reibwert (der generel, je nach Belagtyp oft sogar erheblich,
abhängig von der Temperatur schwankt!) und vermeidet Verzug.
Der bei Stahlscheiben geringfügig früher auftretende "Biß"
rührt vor allem daher, daß diese Scheiben an der Kontaktfläche
zum Belafg schneller heiß werden, da die Wärme langsamer als bei
Gußscheiben abgeführt wird. Allerdings hat dies auch zur Folge,
daß die Bremsleistung recht unvermittelt einsetzt und damit schwerer
zu dosieren ist.
Zudem begünstigt diese Tatsache den Verzug von solchen Bremsscheiben.
Dieses Phänomen ist bei den relativ dünnen Motorradscheiben
natürlic geringer als bei PKW oder LKW, nichtsdestotrotz aber durchaus
relevant.
Zum anderen kann die Gußscheibe die aufgenommene Wärme erheblich
besser an die Umwelt abgeben. Dies ist insbesondere im Falle der Bremsung
selbst wichtig, da dadurch schon während des Bremsvorganges mehr Wärme
an die Umwelt abgeführt wird. Somit bleibt der Temperaturunterschied
zwischen dem eigentlichen Bremsvorgang und der nachfolgenden Phase ohne Bremsung
bei Gußscheiben geringer als bei Stahlscheiben.
Sie weisen demnach eine relativ konstante Betriebstemperatur auf, was (siehe
oben) einen konstanten Reibwert und damit die Dosierbarkeit der Bremse
günstig beeinflußt.
Im Ergebnis bedeutet dies, daß Gußscheiben bei gleicher
Dimensionierung (=Gewicht) erheblich größere thermische Reserven
aufweisen, als dies Stahlscheiben tun.
Dies ist auch der Hauptgrund dafür, daß im Rennsport eingesetzte
Stahlscheiben (z.B. Seriensport, aber auch Brembo) oft erheblich schwerer
sind, als Gußscheiben mit üblicherweise 5mm Dicke. Durch die
größere Masse der Scheibe kann die gesamte Wärmekapazität
erhöht und damit die Überhitzungsgefahr für die Länge
eines Rennens vermieden werden.
Nachteile: schlechteres Handling (größere rotierende Massen!)
und höheres Gesamtgewicht.
Zudem werden ganz erhebliche Anstrengungen im Versuchsbereich (extrem aufwendige
Bremszangenkonstruktionen, speziell formulierte und konstruierte Belagmischungen,
etc.) erforderlich, damit Stahlscheiben mit Sintermetallbelägen heute
überhaupt als rensporttauglich gelten können.
Zu Punkt 2:
Kohlenstoff hat etwas widersprüchliche Eigenschaften. Zum einen tut
er als gutes Schmiermittel im Graphitpulver seinen Dienst. Zum anderen sorgt
er aber bei Carbonbremsscheiben im Rennsport für enorme
Verzögerungsmöglichkeiten.
Graphit (die Form, in der Kohlenstoff in Gußscheiben vorkommt) weist
über einen weiten Temperaturbereich einen konstanten Reibwert auf, ist
thermisch recht stabil und ist letztlich im Guß für die gute
Wärmeableitung verantwortlich.
Damit beeinflußt er Gußbremsscheiben dahingehend, daß diese
leichter dosierbar Bremswirkung aufbauen als Stahlscheiben, die dazu neigen,
"bissig", und damit schwer dosierbar zu agieren.
Ein möglicher Grund für diese "Bissigkeit" liegt darin, daß
Sinterbeläge in Verbindung mit Stahlscheiben beim Bremsvorgang dazu
neigen, mit der Scheibe kurzzeitig zu verschmelzen ("fressen"), was zu abrupten
Reibwertänderungen führen kann.
Organische Beläge tun dies nicht, weshalb sie auf Stahlscheiben oftmals
subjektiv etwas "stumpfer" wirken. Mißt man die absoluten
Verzögerungen, dann zeigt sich, daß sie durch das Fehlen der
großen Reibwertsprünge letztlich oft für besser dosierbare
Bremswirkung sorgen und damit auch dem geübten Fahrer kürzere Bremswege
ermöglichen.
Schlußendlich bietet die Verwendung organischer Beläge auf
Gußscheiben nach unseren Erfahrungen die optimale Kombination aus
Dosierbarkeit und Standfestigkeit.
Gleichzeitig hat sich auch bei der Bremsbelagentwicklung gezeigt, daß
die Erhöhung des Kohlenstoffanteils in Belägen für höhere
Reibwerte und vor allem besserer Reibwertkonstanz über einen weiten
Temperaturbereich sorgt. Allerdings sei hier auch nicht verschwiegen, daß
solche Beläge im rennsportlichen Einsatz nicht nur Stahlscheiben, sondern
durchaus auch Gußscheiben thermisch überfordern können,
was zu erhöhtem Verschleiß oder Verzug führen kann.
Bei den Gußscheiben einiger Hersteller können dann sogar Risse
im Guß auftreten.
2. BREMSBELÄGE
Neben dem oben gesagten bezüglich der Unterschiede zwischen Sintermetall-
und organischen Belägen, seien hier noch einige ergänzende Punkte
genannt.
Sogenannte organische Beläge bestehen aus einer Reihe von Komponenten,
deren genaue Rezeptur jeder Hersteller verständlicherweise streng
geheimhält.
Allerdings sind Bestandteile wie z.B. Eisenspäne, Kohlenstoff, verschiedenen
Fasern (auch Kevlar, da übrigens völlig ungeeignet ist, die
BRemswirkung zu verbessern und lediglich als Füllstoff die inzwischen
verbotene Asbestfaser ersetzt), Kunstharze und vieles mehr sehr häufig
zu finden.
Diese Materialien werden, gemahlen oder zerrieben, sehr homogen miteinander
vermengt, in einer Form verdichtet und anschließend auf eine
Metallträgerplatte gepreßt.
Die Verbindung zwischen Belagmaterial und Grundplatte wird über eine
spezielle Beschichtung der Platte, die unter Hitzeeinwirkung reagiert,
hergestellt.
Nach dem "Backen" gehen die Beläge in die Endbearbeitung, wo mechanisch
die ebene Oberfläche hergestellt wird.
Der so entstandenen Belag ist relativ spröde und benötigt zur optimalen
Funktion eine gewisse Einfahrzeit. er ist in der Regel weniger aggressiv
gegen Bremsscheiben und sorgt für lange Scheibenlebensdauer.
Sinterbeläge hingegen können aus den verschiedensten Materialien
zusammengestellt werden. Der Sintervorgang (Verbinden von Materialien
verschiedensten Ursprungs unter Einwirkung von hohem Druck und hoher Temperatur)
ermöglicht eine andere, sehr freie Auswahl der Komponenten.
Sinterbeläge sind relativ hart, damit z.B. ungeeignet für die
Verwendung auf Gußbremsscheiben und gleichzeitig in der Regel recht
gute Wärmeleiter.
Über ihre Zusammensetzung bewahren die Hersteller genauso Stillschweigen.
Zitatende ....."
Reifengröße = 17" (=86,4cm Durchmesser)
Bremsscheibendurchmesser = 320mm
V [km/h] | VUmfang [m/s] |
50 |
5,3 |
100 |
27,8 |
150 |
41,7 |
200 |
55,6 |
250 |
69,5 |
300 |
83,4 |
... to be continued ...